eine Elfenromanze
er sich wieder der Straße zu. „Ihr haltet nicht viel davon, im Mittelpunkt zu stehen“, wagte er zu bemerken.
„Meine Angelegenheiten sollen nicht dazu dienen, die Leute zu ergötzen“, erklärte Selina bestimmt.
Der Krieger zog interessiert eine Augenbraue hoch. „Ihr wisst, weshalb es die Gesellschaft auf Bankette zieht?“
„Um sich zu amüsieren“, antwortete Selina.
„Das ist zweitrangig“, behauptete Harras und drehte sich zu ihr um. „Das Motto lautet Sehen und Gesehenwerden . Die Damen geben Acht, dass auch jeder ihre neue Garderobe und ihr teuerstes Geschmeide bemerkt, und tragen mit Stolz kunstvolle Frisuren zur Schau. Die Männer prahlen damit, mit welch bezaubernder Gesellschaft sie sich zu umgeben in der Lage sind.“ Er grinste schief. ‚Nicht zuletzt eine Demonstration ihrer angeblichen Manneskraft, doch in den meisten Fällen eher ein Resultat ihrer dicken Geldbeutel’, ergänzte er in Gedanken und fuhr dann laut fort: „Es wird Klatsch ausgetauscht und es werden Geschäftspakte geschlossen. Und man gibt sich dem Luxus und der Völlerei hin.“ Er hielt einen kurzen Moment schweigend inne und betrachtete die Halbelfe. Dann wandte er sich wieder den Pferden und der Straße zu.
Selina wollte sich eingehender über das Thema unterhalten. Doch es war ihr lästig, jedes Wort gegen den Wind zu schreien. Außerdem bevorzugte sie es, ihrem Gesprächspartner ins Gesicht sehen zu können. Deshalb stand sie kurzerhand auf, raffte ihr Kleid hoch und kletterte auf den Kutschbock neben Harras. Der Krieger warf ihr einen überraschten Blick zu.
„Stört es Euch, wenn ich mich neben Euch setzte?“, fragte Selina hastig, da sie seine Reaktion missverstand.
Harras schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, natürlich nicht! Macht es Euch bequem.“
Abermals hatte er nicht mit dem gerechnet, was nun folgte. Denn Selina nahm seine Aufforderung nur allzu ernst. Mit flinken Bewegungen öffnete sie die Schnallen ihrer Sandalen und schlüpfte aus dem ihre Füße marternden Schuhwerk. Befreit aufatmend reckte sie ihre nackten Zehen in den Wind. Harras unterdrückte ein Grinsen.
„Warum geht Ihr zu dem Bankett?“, fragte Selina direkt. Aus den Erläuterungen des Kriegers hatte sie entnommen, dass er offensichtlich nicht besonders viel von Festivitäten dieser Art hielt. Nun aber wollte sie seine Beweggründe erfahren. Sie erhoffte sich, dadurch nicht zuletzt herauszufinden, was jemand wie sie selbst eigentlich dort verloren hatte.
„Wer hat gesagt, dass ich das tue?“, entgegnete Harras.
Sie sah ihn erstaunt an. „Seid Ihr denn nicht eingeladen? Ist das der Grund, warum Liones mich dort haben will? Weil er sich, Eurer Gesellschaft beraubt, langweilt?“
Harras lachte auf. Er fragte sich, inwieweit die Naivität der jungen Halbelfe möglicherweise nur Fassade war. Ihm war klar, dass sie ihn aushorchen wollte, doch niemand hätte sich so dabei angestellt.
„Eingeladen?“, rief er. „Nein, ich bin für diesen Abend nicht zum Dienst abkommandiert worden. Ich habe die Pflicht, Euch abzuholen. Versteht mich nicht falsch! Es ist mir keineswegs eine lästige Pflicht. Dennoch ist es eine Weisung meines Herrn. Danach habe ich für den Rest des Abends frei, soweit jemand wie ich jemals von seinen Aufgaben entbunden sein kann. Und ich verspüre nicht den geringsten Wunsch, mich auf dem Tanzbankett herumzutreiben, auch wenn mir als Verpflichteter der Emnesthars der Eintritt gestattet wäre. Auch glaube ich kaum, dass Liones meine Gesellschaft als Ersatz für die Eure akzeptieren würde.“
„Warum?“, fragte Selina, ohne nachzudenken.
Harras überlegte, wie er seine Worte wählen sollte, um ihr die Bedeutung ihrer Anwesenheit ein für alle Mal klar zu machen und dennoch nicht zu direkt die Tatsachen auszusprechen, da er fürchten musste, dass sein Herr es letztendlich über Selina erfahren würde, wenn er ihn jetzt bloßstellte. Tatsache war, dass Liones die Halbelfe aus eben dem Grund auf dem Bankett haben wollte, den Harras zuvor genannt hatte. Der Grafensohn wollte mit seiner Begleitung Aufsehen erregen. Harras zweifelte mittlerweile nicht mehr daran, dass ihm das mit Leichtigkeit gelingen sollte. Einzig darüber, ob der junge Emnesthar den beabsichtigen Effekt damit erzielen würde, war er sich nicht sicher.
Für einen Moment zog er ernsthaft in Erwägung, doch zu der Festlichkeit zu erscheinen. Selinas unschuldiges Wesen konnte in der durch Klischees geprägten Gesellschaft des Adels durchaus
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