eine Elfenromanze
für Aufregung sorgen. Der Abend mochte einige amüsante Pannen in sich bergen. Doch welchen Preis würde Selina dafür zahlen müssen? Sie hatte wahrlich ein unschuldiges Wesen – unberührt von Neid und Intrige. Und Harras wusste, dass Liones ihr nach der Unschuld trachtete. Seinem Herrn ging es nicht zuletzt darum, Selina als die schöne Ungezähmte zu präsentieren. Sie war nicht adelig. Sie war eine Wilde aus den Bergen. Die mysteriöse Schönheit. Und Liones wollte als derjenige gelten, der diese Wildstute gezähmt und zugeritten hatte.
„Welcher Mann würde nicht lieber mit einer derart bildhübschen Frau wie Euch den Abend verbringen?“, sagte Harras schließlich. „Liones schätzt weibliche Gesellschaft. Er umgibt sich gerne mit schönen Frauen. Er genießt es, sie auszuführen, ihnen den Hof zu machen und sie zu erobern.“
„Man hat mir erzählt, für ihn sei es so etwas wie ein Sport, Frauen zu ...“ Selina brach ab und schlug nervös den Blick nieder.
„… verführen?“, ergänzte Harras.
Sie zuckte empfindlich zusammen.
„Ihr braucht keine Angst zu haben“, versuchte er sie zu beruhigen. „Liones wird nichts tun, was Ihr ihm nicht gestattet.“ Er ließ mit der linken Hand die Zügel los und umfasste ihren Arm. Selina sah erschrocken auf und er blickte ihr tief in die Augen. Mit eindringlicher Stimme fügte er hinzu: „Egal, welche Gerüchte es diesbezüglich auch geben mag! Er wird Euch nicht anrühren, wenn Ihr es nicht wollt. Diesbezüglich verbürge ich mich für ihn.“
Er ließ sie los und eine Weile fuhren sie schweigend weiter.
Selinas Unsicherheit legte sich nicht. Sie vertraute Harras. Trotz seiner dominanten Erscheinung, seinem kräftigen Körperbau und seiner kriegerischen Aufmachung war er ihr sympathisch. Sie zweifelte nicht daran, dass er in der Lage wäre, sie binnen einer Sekunde außer Gefecht zu setzen. Er würde sie töten oder nach Belieben mit ihr verfahren können, wenn er wollte. Doch sie vertraute ihm ... im Gegensatz zu dem Elfen. Inzwischen begriff sie, dass sie sich auf ein Spiel einließ, in dem sie mit dem Trotz eines unbescholtenen Anfängers einem Routinier gegenüberzutreten gedachte.
„Welcher Art ist diese Verpflichtung, die Ihr Liones gegenüber habt?“, fragte sie leise.
Harras ließ die Zügel auf die Rücken der Pferde klatschen, um sie voranzutreiben. Die Sonne war mittlerweile untergegangen und die Straße verschwamm im Zwielicht zu einem dunklen Streifen im blassen Grün der Felder und Weiden.
„Ich habe der Familie Emnesthar vor vielen Jahren die Treue geschworen“, begann Harras zu erzählen. „Damals war Liones noch ein kleiner Junge und ich war ein einfacher Wächter auf dem Anwesen. Heute bin ich ihm mit Leib und Leben bis in den Tod verpflichtet … freiwillig“, fügte er hinzu, als Selina die Augen aufriss und ihn schockiert ansah. „Keiner hat mich dazu gezwungen. Ich habe diesen Schwur aus freien Stücken und tiefer Überzeugung geleistet. Ich habe geschworen, Liones jederzeit mit meinem Leben zu beschützen. Er nennt mich meist seinen Vertrauten und vermutlich trifft es diese Bezeichnung noch am ehesten. Abgesehen von seiner verstorbenen Mutter, Lady Eliera, hat ihn vermutlich niemals jemand so gut gekannt, wie ich es tue.“
„Das klingt nach vierundzwanzig Stunden Dienst. Und obendrein noch die Verpflichtung, im Ernstfall das eigene Leben aufzugeben! Liones muss Euch wahrlich fürstlich dafür entlohnen“, überlegte Selina.
Harras runzelte die Stirn. Dem Tonfall der Halbelfe konnte er entnehmen, dass sie nicht verstand, weshalb jemand freiwillig einen derartigen Dienst verrichten konnte. „Ihr hattet erwähnt, Euer Vater sei Widerstandskämpfer im Krieg gewesen.“
Selina nickte bestätigend, wusste aber nicht so recht, worauf er hinauswollte.
„Ich nehme an, dass er ohne die Erwartung von Belohnung mehrfach sein Leben für das Land aufs Spiel gesetzt hat.“
Sie nickte erneut, obgleich sie nicht mit Sicherheit sagen konnte, dass es tatsächlich so war. Ihre Mutter hatte selten vom Krieg erzählt. Selina wusste wenig über die Taten ihres Vaters. Er hatte die Streitmacht der Elfen befehligt und die Elfen haben letztendlich gewonnen. Für ein Kind, das seinen Vater nie gesehen hatte, mochten diese Aussagen genügen, es glauben zu lassen, dass er ein Held gewesen sein musste. Es war einfacher, sich vorzustellen, wie er in glänzender Rüstung auf einem weißen Streitross unter wehenden Bannern saß, umgeben von
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