eine Elfenromanze
er nicht dazu, ihn zum Besten zu geben.
Denn Selina war tatsächlich durstig – sehr durstig sogar. Die lange Kutschenfahrt durch die frische Abendluft hatte ihre Kehle regelrecht ausgedörrt. Liones sah verstört zu, wie sie mit beiden Händen nach dem Glas griff, es an die Lippen führte und in einem Zug leerte. Mit einem befreiten Aufatmen wischte sie sich mit dem Handrücken den Mund trocken.
„Danke. Schmeckt schön erfrischend“, sagte sie schließlich. „Was ist das für ein Zeug?“
Liones musste seine Verwirrung unter Kontrolle bekommen, die bedenklich an Entrüstung grenzte, bevor er antworten konnte. „Dieses Zeug heißt Champagner. Der hier“, er tippte mit dem Zeigefinger gegen sein Glas, was ein leises Klingen verursachte, „ist vermutlich die teuerste Sorte, die in der Region von Ametar gehandelt wird.“
Selina starrte voll Unbehagen zuerst ihr leeres Glas und dann den Elfen an. „Entschuldigung ...“, begann sie.
Doch Liones schnitt ihr mit einer abwehrenden Geste das Wort ab. „Das ist schon in Ordnung. Es braucht Euch nicht unangenehm zu sein. Im Grunde ist es doch nur vergorener Traubensaft, und wenn er nicht zum Trinken gemacht wurde, wozu dann?“ Er nahm einen tiefen Schluck. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass ihm jetzt etwas Stärkeres angebrachter erschien. Hätte man ihm in diesem Moment ein Glas Whisky in die Hand gedrückt, er hätte es ebenso ungeniert geleert, wie Selina soeben mit dem Champagner verfahren war. Eine beunruhigende Ahnung drängte sich ihm auf, dass es möglicherweise doch nicht so eine brillante Idee gewesen war, eine einfache Dienstmagd auf ein derart wichtiges gesellschaftliches Ereignis zu laden.
Er nahm ihr das Glas ab und überlegte kurz, ob er es gegen ein volles austauschen sollte. Doch dann beschloss er, es für den Anfang dabei zu belassen. Er wusste nicht, wie trinkfest die junge Elfe war, und wollte sich noch länger an ihrer Gesellschaft erfreuen. Außerdem, was würde man wohl von ihnen halten, wenn sie schon vor der Eröffnung der Festlichkeiten den Alkohol so unbedacht in sich hineinkippten? Er stellte das leere Glas auf einem der kleinen Tischchen ab, die hier alle paar Meter an der Wand aufgestellt waren.
Schweigend gingen sie weiter.
Selina überlegte fieberhaft, wie sie sich für die peinliche Situation eben entschuldigen konnte. Liones sollte keineswegs von ihr denken, dass sie eine gierige Schlampe sei, die sich nicht zu beherrschen vermochte.
Da blieb ihr Blick an etwas hängen, das ihr ungewohnt vertraut vorkam – etwas, das nicht in diese Umgebung passte.
Dort vorn unterhielt sich eine kleine Gruppe Leute angeregt miteinander. Selinas Aufmerksamkeit galt jedoch einzig einer jungen Menschenfrau, die mit dem Rücken zu ihr stand und an einem Glas Champagner nippte. Es war Adorata, das Schankmädchen aus der Singenden Maid . Natürlich! Selina hatte ganz vergessen, dass sie auch hier herkommen wollte ... mit diesem Irving. Das musste der junge Mann neben ihr sein, zu dem sie sich so betont hindrückte. Adorata trug ein bodenlanges Kleid in auffälligem Rot, das auf dem Rücken etwas weiter ausgeschnitten war, als es sich wohl ziemen würde. Und sie hatte lange, schwarze Handschuhe an, die ihr bis über die Ellenbogen reichten. Selina quittierte es mit einem schadenfrohen Grinsen. Die Spuren von Adoratas unrühmlicher Kollision mit der Suppe waren unter dem Stoff, der sie so dezent verdeckte, immer noch gut sichtbar und ein unschöner Anblick, auch wenn die Brandwunden gut verheilten und sicher in ein paar Wochen gänzlich verschwunden sein würden.
Selina überlegte, ob sie schnell an der Gesellschaft vorbeihuschen sollte, ungesehen und unbeachtet von dem Schankmädchen. Doch dann besann sie sich eines Besseren.
Sie zog ein wenig an Liones’ Arm, weil sie so nahe wie möglich an ihrer Kollegin vorbeigehen wollte. Und als sie direkt hinter ihrem Rücken war, rief sie so laut, dass die Menschenfrau sie unmöglich ignorieren konnte: „Hallo Adorata! Schön dich zu sehen!“
Adorata fuhr aufgeschreckt herum. Und im nächsten Moment hätte sie ihre eigenen Augen am liebsten der Lüge beschuldigt. Sie konnte nicht glauben, was sie da sah. Die Elfe, in dem teuren Seidenkleid, da vor ihr, war zweifelsohne Selina, das ungeschickte Dienstmädchen. Und sie ging Arm in Arm mit dem jungen Emnesthar, einem reinblütigen Grafen. Adorata fiel das Glas aus der Hand und zersprang am Boden in tausend feine Splitter. Champagner spritzte auf.
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