Eine Eule kommt selten allein
Peter.
»Auf dem Boden haben wir nichts gefunden, vielleicht ist es immer noch oben im Baum. Fragen Sie aus einem besonderen Grund, Professor?«
»Mich würde lediglich interessieren, ob es durchgeschnitten wurde oder gerissen ist. Daraus könnten wir schließen, ob Emmerick zufällig gefallen ist oder ob man ihn absichtlich losgelassen hat. Ich habe vergessen nachzusehen, bevor die Leiche weggebracht wurde.«
Haverford hatte anscheinend ebenfalls nicht daran gedacht. »Wir werden es erfahren, wenn wir die Laborberichte erhalten«, meinte er ausweichend. »Vielen Dank, Professor Shandy. Könnten Sie uns jetzt vielleicht sagen, was Sie gesehen haben, Dr. Svenson?«
Er bekam eine Antwort, die aus gerade mal sieben Worten bestand, und mußte daraufhin eine Menge Zeit und Energie für den Versuch opfern, dem Präsidenten die Namen der Personen zu entlocken, die sowohl das Bedürfnis als auch die finanziellen Mittel gehabt hätten, einen bezahlten Killer auf ihn anzusetzen. Als Haverford sich endlich Professor Daniel Stott zuwenden konnte, machte er einen sichtlich mitgenommenen Eindruck. Und als Stott auch noch sagte, er habe nicht mitbekommen, wie Emmerick sich in dem Netz verfangen habe, weil er zu tief in Gedanken versunken gewesen sei, wurde der Sergeant ausgesprochen gehässig. Peters Versuch, ihn davon zu überzeugen, daß Professor Stott tatsächlich die Wahrheit sagte, da er fast immer tief in Gedanken versunken war, traf auf wenig Verständnis. Da jedoch alle übereinstimmend aussagten, Stott habe seinen Platz zu keinem Zeitpunkt verlassen, blieb Haverford nichts anderes übrig, als aufzugeben.
»In Ordnung, das wäre dann wohl alles für heute. Es hat nicht zufällig einer von Ihnen die Absicht, die Stadt zu verlassen?«
»Besser nicht«, knurrte der Präsident. »Müssen schließlich unterrichten.«
»Oh, verstehe. Dann werden wir Sie ja wohl im College finden, falls Polizeichef Ottermole um unsere weitere Mithilfe bitten sollte.«
Peter sagte, er freue sich schon darauf, und man verabschiedete sich voneinander. Die meisten Polizisten gingen wieder dahin zurück, woher sie auch gekommen waren, zwei wurden zur Bewachung des Baumes zurückgelassen. Die Eulenzähler machten sich wieder auf den Weg, um die Eulenzählung fortzuführen, konnten aber nicht einmal ein ausgewürgtes Bällchen Mäusefell finden, und weit und breit war kein Eulenruf zu vernehmen. Nach einer Weile sprach Dr. Svenson das aus, was die Gruppe dachte.
»Zum Teufel mit den Eulen. Wir gehen jetzt nach Hause.«
Niemand sprach, als sie von Winifred Binks zu der Stelle geführt wurden, wo Peters Wagen parkte. Er fuhr automatisch zurück zum College, da die meisten seiner Fahrgäste in dieser Gegend wohnten, stellte dann jedoch fest, daß er sich damit dem einzigen weiblichen Mitglied der Gruppe gegenüber höchst unritterlich verhielt, denn Winifred Binks wohnte schließlich weit außerhalb der Stadt. Um seinen Fauxpas zu kaschieren, sagte er: »Ich setze die anderen nur schnell ab, Miss Binks, danach fahre ich Sie zur Station zurück.«
»Das werden Sie schön bleibenlassen«, protestierte Winifred. »Ich werde einen Wachmann bitten, mir die Turnhalle aufzuschließen, und mache es mir auf einer der Matten gemütlich.«
Nach einigem Hin und Her akzeptierte sie schließlich das Ausziehsofa im Arbeitszimmer der Shandys im ersten Stock. Ehrlich gesagt, war Peter nicht nur dankbar, daß ihm die weite Fahrt somit erspart blieb, sondern auch heilfroh, daß er Miss Binks sicher unter seinem Dach wußte, statt draußen auf einem riesigen Areal fernab von jeder Zivilisation. Nachdem es ihm auch noch gelungen war, sie im Zimmer unterzubringen, ohne dabei seine Frau aufzuwecken, kroch er erleichtert in sein Ehebett.
Wenn man bedachte, wie spät es war, hätte Peter eigentlich schlafen müssen wie einer der Steine, über die er die halbe Nacht geklettert war. Doch er lag hellwach im Bett und dachte an die vielen Menschen, die immer noch draußen herumliefen und Eulen zählten. Er hoffte inständig, daß keiner von ihnen dem Phantom ins Netz gegangen war.
Oder den Phantomen. Wie viele Helfer waren wohl nötig gewesen, um diese Operation durchzuführen? Vielleicht war es auch nur eine einzige Person, sie mußte nur stark genug sein. Emmerick nach oben in den Baum zu hieven war sicher die schwierigste Aufgabe gewesen. Vielleicht hatte man ihn nur deshalb so schnell fallen lassen, weil der Netzzieher ihn nicht länger hatte festhalten können?
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