Eine ewige Liebe
wäre, das Kreuzworträtsel zu legen.
Amma zerbrach sich völlig unnötig den Kopf. Herumspuken war viel schwerer, als man es sich vorstellte, auch ohne geisterabweisende blaue Farbe oder Salz oderAmulette.
Mir fiel auf, wie traurig Macon aussah, wenn er Lenas Gesicht betrachtete. Ich achtete nicht mehr auf die Zeitungen, sondern lauschte ihrer Unterhaltung.
»Du hast vielleicht seinWesen gespürt, Lena. Ein Grab ist zweifellos ein machtvoller Ort.«
»Ich habe nicht irgendetwas gespürt, Onkel Macon. Ich habe ihn gespürt, Ethan, den Schemen. Ich bin mir ganz sicher.«
Aus dem Kamin quoll Rauch. Boo hatte seine Schnauze in Lenas Schoß gelegt. In seinen dunklenAugen spiegelte sich das Feuer.
»Nur weil ein Knopf vom Grabkreuz gefallen ist?« Macons Stimme blieb zwar ruhig, aber er klang auch sehr müde. Ich fragte mich, wie viele solcher Gespräche er seit meinemTod schon hatte führen müssen.
»Nein, weil er ihn bewegt hat.« Lena ließ nicht locker.
»Und wenn es derWind gewesen ist? Oder irgendetwas anderes?Wesley hat ihn vielleicht heruntergeworfen, er ist ja nicht gerade der Geschickteste.«
»Nein, Link kann es nicht gewesen sein. Ich weiß, was passiert ist. Ich erinnere mich noch genau daran. Schließlich ist es erst eineWoche her.« Sie war noch starrköpfiger als Macon.
Eine Woche?
War seither so viel Zeit in Gatlin vergangen?
Lena hatte die Zeitung also nicht bemerkt. Sie konnte keinem beweisen, dass ich immer noch hier war – nicht sich selbst, nicht meiner Familie, nicht einmal meinem besten Freund. Es war aussichtslos, ihr etwas von ObidiasTrueblood und meinen neuestenVerwicklungen erzählen zu wollen, wenn sie nicht einmal mit Sicherheit wusste, dass ich noch existierte.
»Und was ist seitdem passiert? Hast du ihn seither noch einmal gespürt?«, fragte Macon.
Die Frage verwirrte sie. »Vielleicht ist er nicht mehr da.Vielleicht hat er etwas vor.Woher soll ich denn wissen, wie es in derAnderwelt zugeht.« Lena starrte nachdenklich ins Feuer. »Ich bin ja nicht die Einzige. Ich habeAmma besucht. Sie sagt, sie weiß, dass er im Haus war. Und auch ihr hat er ein Zeichen gegeben.«
» Was Ethan angeht, kann manAmma nicht trauen.«
» Was soll das heißen? Natürlich kann man das.Amma ist die vertrauenswürdigste Person, die ich kenne.« Lena wurde wütend, und ich fragte mich, wie viel sie tatsächlich von jener Nacht amWasserturm wusste.
Macon sagte keinWort.
»Habe ich etwa nicht recht?«, fragte Lena schließlich.
Macon klappte das Buch zu. »Ich kann nicht in die Zukunft blicken. Ich bin kein Seher. Ich weiß nur, dass Ethan getan hat, was getan werden musste. Die ganzeWelt – sowohl die Lichte wie die Dunkle – wird ihm für immer dankbar sein.«
Lena stand auf und riss die vollgemalte Seite aus ihrem Notizbuch. »Ich aber nicht. Ja, er war wahnsinnig tapfer und edel und was sonst noch alles, aber er hat mich hier zurückgelassen, und ich weiß nicht, ob es das wert gewesen ist. Mir ist das Universum und dieWelt und ihre R ettung völlig egal. Ohne Ethan ist mir überhaupt alles egal.«
Sie warf die ausgerissene Seite ins Feuer. Die Flammen züngelten orange auf.
Macon sah geistesabwesend zu, wie das Papier verbrannte. »Ich verstehe.«
»Ach ja?« Lena schien ihm nicht zu glauben.
»Es gab Zeiten, in denen ich mein Gefühl über alles andere gestellt habe.«
»Und warum tust es heute nicht mehr?«
»Ich weiß es nicht. Ich bin älter geworden, schätze ich. Und ich habe gelernt, dass die Dinge oft komplizierter sind, als wir glauben.«
Lena hatte sich gegen den Kaminsims gelehnt und starrte ins Feuer.
»Vielleicht hast du nur vergessen, wie es sich anfühlt.«
»Vielleicht.«
»Ich werde es jedenfalls nicht vergessen.« Sie sah ihn direkt an. »Niemals.« Dann wedelte sie mit der Hand, woraufhin der Rauch aufstieg und sich zu einer Form zusammenballte. Zu einem Gesicht. Meinem Gesicht.
»Lena.«
Als Macon redete, löste sich mein Gesicht sofort wieder in graue Schwaden auf.
»Lass mich. Lass mir doch das bisschen, das mir noch von ihm geblieben ist!«, rief sie leidenschaftlich, und dafür liebte ich sie.
»Das sind nur Erinnerungen.« Macon klang wehmütig. »Du musst nach vorne schauen. Glaub mir.«
» Warum? Du hast das doch auch nie getan.«
Er lächelte traurig und blickte an ihr vorbei in die Flammen. »Deshalb weiß ich es ja so genau.«
Ich folgte Lena dieTreppe hinauf. Seit meinem letzten Besuch in Ravenwood waren Eis und Schnee weggeschmolzen.
Weitere Kostenlose Bücher