Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
ärgerte sie sich, dass sie es nicht geschafft hatte, sich auf der Baustelle einzufügen. Stattdessen wäre ihre Tarnung mehrmals beinahe aufgeflogen. Und jetzt hatte sie die Auf merksamkeit von fast jedem Mann hier auf sich gezogen, indem sie sich herumprügelte.
»… habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
Sie nickte. »Ja, Sir.«
Jenkins, der sich immer noch den Kopf hielt, brummte etwas, was ebenfalls wie »Ja, Sir« klang.
»Dann schüttelt euch die Hände wie richtige Männer.«
Als Jenkins seinen Kopf losließ, um ihr die Hand hinzustrecken, sah Mary, dass er tatsächlich weinte. Undeutlich murmelte er: »Schwamm drüber!«
Sie sah in seine erschrockenen und argwöhnischen Augen. »Gleichfalls.«
»Dass mir nicht wieder eine Prügelei zwischen euch zu Ohren kommt – und kein Gezänk!«
Mary wischte sich mit dem Ärmel die Nase ab. Die Blutung schien nachzulassen.
»Herrschaft noch mal!« Ein großes Leinentaschentuch wurde ihr hingestreckt.
Sie nahm es. »Danke, Sir.« Es roch nach einem Parfüm, einem dezenten, aber teuren.
»Zurück an die Arbeit, ihr beiden.«
Während Harkness wieder in seinem Büro verschwand, blieben Mary und Jenkins stehen, steif und zögernd. Schließlich sagte Jenkins: »Am besten, wir fangen mal mit der Teerunde an.«
Mary sah erstaunt hoch. Eines der vorhandenen Ziffernblätter zeigte an, dass es Viertel nach zehn war. »Schon? Ist das nicht ein bisschen früh?«
Er sah sie mit einem Blick an, als sei er auf der Hut. »Viel Arbeit. Komm mit.«
Vielleicht war das bei Jungs so: Mädchen konnten bis in alle Ewigkeit nachtragend sein, aber Jenkins hatte die Prügelei schon vergessen. Er fragte sie aus, während sie das Gelände überquerten. »Gehörst du zu Harkys Kirche?«
»Nein.«
»Wie hast du die Stelle dann gekriegt?«
Sie zuckte die Schultern. »Hab gesagt, ich bräuchte dringend eine.«
Jenkins betrachtete sie durch zusammengekniffene Augen. »Pff.«
»Wie hast denn
du
die Stelle gekriegt?« Und warum war es so unwahrscheinlich, dass man einfach nach einer Stelle fragte?
»Bei uns Jüngeren hier ist es fast immer das Gleiche. Haben die Stelle über unsere Alten gekriegt.«
»Wie alt bist du?«
»Was schätzt du?«
Mary sah ihn genau an. Er war ein schmächtiges, sommersprossiges kleines Ding – ein Achtjähriger mit den Augen eines alten Mannes. »Dreizehn.«
Das schien ihm zu gefallen. »Nächsten Monat. Und du?«
»Zwölf.«
»Dann ist das nich dein erster Job.«
»Der erste auf ’ner Baustelle«, sagte Mary, was ja auch stimmte. Sie sah sich um. »Wo gehn wir überhaupt hin?«
Ein listiger Blick huschte über Jenkins’ angeschwollenes Gesicht. »Du bist auch bestimmt nicht fromm?«
»Hab ich doch schon gesagt.«
»Und auch nicht Abstinenzler?«
»Abstinenzler?« Das war ein kompliziertes Wort für einen Jungen wie Jenkins.
»Einer von denen, die meinen, dass Bier Gift ist.«
»Nein, bin ich nicht.«
»Und wieso bist du dann Harkys Liebling?«
»Wie kann ich sein Liebling sein, wo ich doch heute erst angefangen hab?« Genau das hatte sie befürchtet, doch Jenkins’ Antwort überraschte sie.
»Weil du für die Teerunde eingeteilt bist. Hat bei mir anderthalb Jahre gedauert, die Teerunde zu ergattern, und du übernimmst sie schon am ersten Tag.«
Mary wusste nicht, was er meinte. »Keine Ahnung, wie das kommt. Was ist denn an der Teerunde überhaupt so besonders?«
Jenkins sah sie argwöhnisch an. »Wenn ich dir das verrate, musst du die Einnahmen teilen.«
Einnahmen?
Plötzlich schwante Mary, um was es sich da handeln konnte. Abstinenz plus Tee konnte einen hübschen kleinen Profit abwerfen. »Ich bin mir nicht sicher, was du meinst, aber ich teile gern. Was ist damit?«
»Halbe-halbe«, beharrte Jenkins.
»Halbe-halbe von was?«
Jenkins wurde wieder lebhafter und sie beschleunigten ihre Schritte. Inzwischen hatten sie das Gelände zweimal umrundet. »Du darfst Harky aber nichts sagen.«
»In Ordnung«, erwiderte Mary rasch.
»Versprich es!«
»Versprochen.«
»Schwörst du beim Leben deiner Mutter?«
»Die ist tot.«
»Dann bei ihrem Grab!«, forderte er.
»Ich schwöre. Los, von was redest du?«
Jenkins grinste, zuckte dabei aber zusammen. Seine Wange wurde bereits blau. »Zeig ich dir.«
Sie fingen bei den Schreinern an, die Jenkins erleich tert mit lautstarkem Gejammer begrüßten. Warum er denn heute so spät dran sei? Sie hätten schon fast die Hoffnung aufgegeben. Wer denn der andere Bursche sei? Neuer
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