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Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Titel: Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Lee
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wollte er zu dem Thema nicht sagen.
    Marys Augen hatten sich inzwischen an den fast stockfinsteren Keller gewöhnt und sie konnte einige Umrisse erkennen. Es war ein kleiner Raum mit niedriger Decke und gestampftem Erdboden. Es gab weder Möbel noch eine Feuerstelle, keinen Platz zum Essen und natürlich auch keinen zum Waschen. Nur ein paar Gegenstände deuteten an, dass hier jemand zu wohnen versuchte: zwei kleine Stapel Strohmatten und Lumpen, die wohl Bettdecken waren; ein zerbeulter Eimer ohne Griff; ein Kerzenstummel.
    Sie versuchte, das Mitleid in ihrem Blick zu verbergen. Jenkins’ Hintern war offensichtlich schlimm aufgeplatzt und musste eigentlich behandelt werden, und er trug immer noch dieselben Klamotten, in denen sie ihn zuletzt gesehen hatte. Wahrscheinlich die einzigen Sachen, die er besaß. Bei dem Dreck und der Armut, in der er lebte, war es fast ein Wunder, dass er noch keine fiebrige Wundinfektion bekom men hatte.
    »Wer wohnt hier sonst noch?«, fragte sie.
    Eine Pause. Dann: »Mein Dad und die Kleinen.«
    Keine Mutter, was nicht ungewöhnlich war. »Kleine Brüder?«
    »Schwestern. So klein auch nicht mehr. Nächstes Jahr ist Jenny vielleicht alt genug zum Arbeiten.«
    Alt genug zum Arbeiten
war ein dehnbarer Begriff. Die Armut, die bei Jenkins herrschte, bedeutete, dass Jenny fünf oder höchstens sechs war. »Was macht dein Vater?«
    »Was geht dich das an?«
    »Nichts. Ich wollte nur   – du hast doch gesagt, dass er Bauarbeiter ist, nicht? Dass du so die Stelle gekriegt hast.«
    »Geht dich nichts an.«
    »Na gut«, sagte sie freundlich. Es klang, als wolle er sie loswerden. »Ich komm in ein paar Tagen wieder und schau nach dir, wenn du willst.«
    Jenkins konnte seinen Blick nicht von den Pennys lösen und er zuckte schroff mit den Schultern. »Wie du willst.«
    Sie stand auf und schlug sich prompt den Kopf an der Decke an. Wenn sie, eine ziemlich kleine Frau, zu groß war für den Keller, wie zum Teufel sollte ein Mann wie der alte Jenkins hier leben können? Und warum wollte sein Sohn nicht über ihn sprechen? »Na gut. Bis dann.«
    Jenkins grunzte nur. Aber als sie die wackelige Leiter erklomm, hörte sie ihn etwas sagen. »Quinn.«
    Sie blieb mit der Hand auf der obersten Sprosse stehen. Sie wollte so schnell wie möglich aus diesem muffigen Loch. »Ja?«
    Er stupste den kleinen Stapel Münzen an, als müsse er sich vergewissern, dass sie wirklich da waren. Er schien es nicht leicht zu finden, Mary direkt anzusehen. »Danke.«
    Sie nickte kurz und versuchte zu lächeln, aber auf einmal war ihr alles zu viel: der Keller, der Gestank; das schlimme Elend um sie herum. Sie kletterte hinauf und lief schnell aus dem Haus, wobei sie die bucklige Frau, die sie hereingelassen hatte, fast umrannte. Sie lief an den Kindern vorbei, die sie mit eulenhaften, verschwiemelten Augen ansahen   – betäubt von einer Mischung aus Hunger und Mohn wahrscheinlich. Sie rannte, bis sie wieder in Lambeth war.
    In der Nähe der Coral Street torkelte sie in eine kleine Seitengasse und übergab sich. Brot, Bier, das zusätzliche Brötchen   – ihr ganzes Mahl kam wieder hoch. Aber auch als ihr Magen entleert war, musste sie weiter würgen, in krampfhaften Stößen, die sie schütteltenund nach Atem ringen ließen. Sie schmeckte etwas Salziges auf den Lippen und merkte, dass sie weinte. Weswegen? Nicht nur um Peter Jenkins. Oder um die anderen, die sie in seiner Straße gesehen hatte. Es war absurd. Kindisch, schwächlich. Aber sie konnte eine ganze Weile nicht aufhören.
    Als sie sich schließlich beruhigte, war sie wie ausgepumpt: ohne Tränen und mit hohlem Magen. Ihr war kalt. Sie zitterte vor Erschöpfung. Und sie war immer noch in der Gasse in Lambeth, in den Kleidern von Mark Quinn. Sie schluckte den bitteren Geschmack in ihrem Mund hinunter und fragte sich, was das bedeutete. Dann machte sie sich zur Coral Street auf und wappnete sich für das, was dort auf sie wartete. Rogers, das klumpige Bett, der unterbrochene Nachtschlaf. Sie dachte an ihr Leben als Mary Quinn   – ihr eigenes Zimmer, ihr Zuhause in der Akademie. Das gab es schließlich auch noch. Es gab Mary Quinn noch. Sie konnte sofort in die Agentur zurückkehren, oder auch morgen, oder aber erst nach Abschluss dieses Falles. Und diese Gewissheit reichte ihr schon irgendwie   – für diesen Abend zumindest.

Zwölf
    Mittwoch, 6.   Juli
    Palasthof, Westminster
    E s war der Morgen der gerichtlichen Leichenschau. Sowohl James als auch

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