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Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Titel: Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Y Lee
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begreifen. Doch dann wurde sie wütend. Allerdings konnte sie es nicht riskieren, etwas anderes zu tun oder zu sagen als: »Ja, Sir.«
    Der verdammte Kerl grinste nur. »Dann bis morgen, Junge.«

Elf
    I m Cut gab es eine Bäckerei, die nicht weit entfernt von Miss Phlox’ Haus lag. Wie mit Anne Treleaven verabredet, ging Mary dort jeden Abend vorbei, um »ein einfaches Brötchen, so dunkel wie möglich« zu kaufen. Sobald sie draußen war, biss sie gierig in das Brot. Sie war zurzeit ständig hungrig. Aber heute fand sie in dem weichen Inneren des Brötchens ein Papierkügelchen, so groß wie eine Erbse. Darauf stand eine Adresse in Bermondsey, zusammen mit einer knappen Wegbeschreibung. Es war oft schwierig, sich im Gelände der Docks zurechtzufinden, denn dort gab es keine Straßenschilder. Mary brauchte nur einen Augenblick, um sich die Strecke zu merken. Dann warf sie den Zettel in eine besonders große Pfütze, wo er auch prompt von den Rädern eines Leiterwagens zermalmt wurde.
    In London ging es abends zu wie auf einem Bahnhof. Tausende von Menschen hatten ihr Tagewerk erledigt und strömten jetzt vom Herzen der Stadt in die Vororte: Büroschreiber in schäbigen Anzügen, dieüber die Brücken schlurften, erschöpft aussehende Markthändler, die den Rest ihrer Ware hinter sich herzogen, Handwerker mit Werkzeugtaschen auf dem Rücken. Und doch gab es auch einige, die gegen den Strom unterwegs waren. Schon erschienen neue Verkäufer, um an Straßenständen Kaffee anzubieten, um späte Markttische aufzubauen, wo die Fleisch- und Gemüsereste des Tages   – und des Vortages oder aus der letzten Woche   – zu niedrigen Preisen angeboten wurden; Straßenkehrer, die den Staub und die Abfälle eines langen Tages auffegten.
    Für Mary war es nicht schwierig, den schäbigen Lebensmittelresten zu widerstehen. Doch um sie herum feilschten arme Menschen um welkes Gemüse, wurmstichiges Obst und bereits riechendes Fleisch, weil sie sich nichts anderes leisten konnten. Sie dachte daran, wie Jenkins am Vortag in der Teepause den Rest saurer Milch ausgetrunken hatte, und an seinen Hunger, der heute noch schlimmer sein musste, weil er nichts verdient hatte. Bei dem Gedanken schritt sie schneller aus.
    Als sie an der Tower Bridge vorbeikam, schlug ihr der Gestank der Gerbereien wie eine Ohrfeige entgegen. Vergammelndes Fleisch, Ätzkalk, Tierkot   – das waren die ständigen Ausdünstungen von Bermondsey. Dagegen roch sogar die Themse noch passabel. Jenkins’ Adresse entpuppte sich als verrußtes kleines Reihenhaus, das keine hundert Meter weit weg von einer der größeren Gerbereien stand. Vor den niedrigen Häusern hatte sich nahe der Gosse eine große ScharKinder zusammengefunden. Einige stritten miteinander, aber ansonsten wirkten sie zu teilnahmslos, um mehr zu tun, als auf der Straße zu sitzen und Mary mit glasigen, müden Augen zu beobachten.
    Sie klopfte an die Haustür und wartete. Nichts. Als sie wieder klopfte, keifte eine Stimme von innen: »Was gibt’s denn, verdammt?«
    »Ich möchte bitte Peter Jenkins besuchen.«
    Es folgte langes Schweigen. Gerade, als Mary ihre Bitte wiederholen wollte, wurde die Tür wenige Zentimeter geöffnet, und ein Paar blutunterlaufene Augen starrte sie misstrauisch an. »Jenkins?«
    »Ja, Ma’am.« Das war aufs Geratewohl; sie konnte durch den engen Spalt nicht viel sehen, aber die Stimme war eher hoch.
    Die Tür wurde weiter geöffnet und Mary sah einen wilden Schopf grauer Haare und ein formloses Kleid über einem Buckel. »Jenkins is da drin«, sagte sie kurz angebunden und deutete mit dem Kinn ins Innere.
    Mary musste an sich halten, um bei dem Gestank im Haus   – ungewaschene Haare, Schimmel, Schweiß und Verwesung   – nicht zurückzuweichen. Sie achtete darauf, wohin sie trat, und doch zermalmte sie etwas mit ihrem rechten Fuß, das quiekte. Auf der Straße war es ja schon dämmrig gewesen, aber das Haus selbst war fast ganz dunkel. Ihre Augen brauchten ein paar Minuten, um sich daran zu gewöhnen. Schließlich entdeckte sie eine rechteckige Falltür aus Holz im hinteren Teil des Raumes. Sie quietschte widerstrebend beim Öffnen. Darunterwar eine klapprige Leiter, die in eine Art Keller zu führen schien.
    Sie hielt inne und sah sich um. Dorthin?, wollte sie fragen, aber die Frau kümmerte sich schon nicht mehr um sie. »Hallo?«, rief sie fragend hinunter. In Schauerromanen würde die unerschrockene Heldin jetzt einen Schlag auf den Kopf bekommen und erst

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