Eine feine Gesellschaft
Gott sei Dank. Als ich mich nicht mehr aufraffen konnte, jede vervielfältigte Ankündigung von jeder Splittergruppe auf dem Campus zu studieren, in dem sie dies fordert, jenes verspricht und alles andere verdammt, wußte ich, daß ich mein Interesse an der Revolution verloren hatte. Jetzt gibt es sogar eine Organisation für die Befreiung der Frau – absoluter Blödsinn. Frauen sind in dem Augenblick befreit, wo sie aufhören, sich Gedanken darüber zu machen, was andere Frauen von ihnen denken.« Mit einer Geste großen Entzückens versenkte sie den ganzen Packen Papier im Papierkorb. »Wie ich höre, sind Sie eine Bewunderin von Auden und haben gerade eine hervorragende Dissertation über ihn betreut.«
»Ja, obwohl man über das Rigorosum am besten den Mantel des Schweigens deckt. Es gab da einen Augenblick, wo ich um die Zukunft der akademischen Welt gefürchtet habe.«
»Erzählen Sie. Professor Pollinger fand es die interessanteste Doktorprüfung, die er seit Jahren erlebt hat. Was bewundern Sie so besonders an Auden, wenn Sie mir das in ein paar wohlformulierten Sätzen erklären könnten – eines Ihrer Talente, wie man sagt.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, wer das von mir behauptet. Tatsächlich schwatze ich nämlich einfach los und treffe manchmal per Zufall die Wahrheit, was die Studenten immer besonders inspiriert, weil es sie überrascht; die übrige Zeit fühlen sie sich bloß wunderbar überlegen. Was Auden angeht, so interessiert er sich mehr für Quad-rate und Rechtecke als für sinnliche Effekte, und das mag ich; soll heißen, er weiß, daß Menschen immer in einem moralischen Dilemma stecken, er ist also ein kluger Mann ; außerdem ist er fähig, dieses Dilemma in seiner Struktur zu präsentieren, das macht ihn zum Künstler. Die Strukturen, die er verwendet, sind Bilder aus Worten, und das macht ihn zum Dichter. Er arbeitet eher begrifflich als be-schreibend, und er sieht alle Dinge, ob natürlich oder künstlich, als aufeinander bezogen. Er weiß, daß ein Dichter zuallererst abstrakte Ideen in konkreten Bildern ausdrücken muß. Das sind übrigens seine 97
eigenen Worte. Wie war das als Kurzvortrag?«
»Hervorragend.«
»Danke. Ich habe ihn aus Richard Hoggards Einführung zu Audens Gedichten geklaut. Die wiederum hat Mr. Cornford in seiner Dissertation zitiert. Wenn Sie wissen wollen, was ich persönlich an ihm bewundere: Auden weiß, daß Lyrik ›nichts in Bewegung bringt‹
und trotzdem ungeheuer wichtig ist: Das ist der einzige Auftrag, den sie hat. Und Auden ist der einzige Dichter, den ich kenne, dessen Gedichte ernst und komisch sind. Er weigert sich, Lyrik entweder aufgeblasen oder leer zu sehen. Das ist der Grund, warum er Klio schätzt und die anderen Musen links liegenläßt. Klio ›sieht aus wie jedes Mädchen, das einem nicht weiter auffällt‹.
Muse der einzigen
geschichtlichen Wirklichkeit, während du mit Schweigen Deine Welt verteidigst, wie du sie erblickst, einem Schweigen Das keine Erschütterung bezwingen kann, doch das Ja eines Liebenden Vermag es zu erfüllen…«
»Stellen Sie das mal in Beziehung zu Cudlipp. Eine Art Explosion hat ihn besiegt, aber können Sie sich vorstellen, daß ihn das Ja eines Liebenden erfüllt?«
»Jetzt, da Sie es sagen, nein. Er war immer leer und verachtete Mädchen, die nicht weiter auffielen. Im Augenblick mache ich mir Gedanken über die Stücke, die Auden mit Isherwood zusammen geschrieben hat.«
»Müssen Sie das?«
»Die Pflicht ruft. Einer meiner Studenten möchte darüber seine Arbeit schreiben, und wer bin ich, ihm das zu verweigern? Wollen Sie für den Teil, der Auden betrifft, meine Beraterin sein?«
»In Ordnung. Aber auf das Rigorosum freue ich mich nicht gerade.«
»Unser Prüfungssystem ist einfach falsch. In Schweden geschieht das Ganze ›anständiger‹. Da gibt es einen Professor, der die Arbeit kritisiert, ein anderer verteidigt sie, und ein dritter steuert witzige Bemerkungen bei, was wir natürlich auch alle schrecklich gern täten, aber in unserem Land kann das einfach niemand. Und wenn dann alles vorbei ist, gibt der Kandidat einen Ball – Smoking und Abend-kleid. Ich denke manchmal ans Emigrieren.«
»Es ist wahr«, sagte Kate. »Als gewisse Formen aus dem Leben 98
verschwanden, schwand auch der Sinn. Die Leute jammern immer über Formen, die keine Bedeutung mehr haben, aber es stellt sich heraus, daß Sinn ohne Form wirklich unmöglich ist. Das ist der Grund, weshalb ich Literatur lehre
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