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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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der unter Knarros’ Huf hervorflog, und dachte auch darüber nicht weiter nach.
    Ebenso ignorierte ich Knarros’ Anweisung, bei dem Altar auf seine Rückkehr zu warten - alles aus schierer Aufmüpfigkeit. Ich machte mich auf den Weg zum Tor, um die Jungen dort zu fragen, wer das war, nach dem sie Ausschau halten sollten.
    Es sollte nicht sein. Kaum über die Hügelkuppe hinweg, hörte ich ein dumpfes Krachen hinter mir. Ich warf mich herum und lief den Weg zurück, vorbei an dem Altar und dem wie von einem Sturmwind geschüttelten Strauch und hangab in Richtung des Gebäudes, zu dem Knarros gegangen war. In der plötzlich eingetretenen Stille ringsum hörte ich überlaut meinen jagenden Atem und das Knirschen und Kollern der Steine unter meinen Füßen. Ich ko nnt e mir nicht vorstellen, was das für ein Geräusch gewesen sein sollte, aber es hatte sich erschreckend nach einer Sprengung in einem Steinbruch angehört, und ich erinnere mich an mein Erstaunen, Gebäude und Mauer unbeschädigt zu sehen. Mein Gedanke war, falls ich überhaupt dachte, daß ich die
    Schutzhülle genau in dem Moment entfernt hatte, als Dakros die Geduld verlor und zu feuern befahl.
    Es war ein größeres und etwas besseres Haus als die anderen, mit einer extra breiten, hohen Türöffnung, den Körpermaßen eines Kentauren angemessen. Drinnen war es stockfinster, und als ich blindlings hineinstürmte, stolperte ich über ein Hindernis, das quer gleich hinter der Schwelle lag. Meine haltsuchend ausgestreckte Hand streifte granniges, warmes Haar. Entsetzt sprang ich zurück und stieß gegen den seitlichen Türholm, wo ich wie gelähmt stehenblieb und tief Atem holte. Was ich sogleich bereute, als mir ein klebriger, schaler Geruch nach Pulver und Schlachthaus in die Nase stieg. Sofort rief ich Licht - noch eine meiner eher schwachen Gaben -, und als die Kerzenflamme auf meiner Handfläche endlich hoch genug gewachsen war, um in dem dunklen Raum etwas erkennen zu können, bot sich mir ein grauenhafter Anblick: Knarros lag vor mir auf dem Boden, ein Bein - wahrscheinlich gebrochen, als er stürzte - unter den Leib geknickt. Die Illusion granitener Unbezwingbarkeit war zerstört, er hatte kein Gesicht mehr, und ein dampfender roter Blutstrom quoll pulsierend aus seinem Hals. Letzteres war kein Grund zur Hoffnung, sondern erklärt sich daraus, daß Kentauren zwei Herzen haben.
    Nein, Knarros war eindeutig tot; eine große graue Hand umfaßte den Revolver, mit dem er sich erschossen hatte. Hinten im Raum entdeckte ich den primitiven Wandsafe, der wahrscheinlich die Informationen enthielt, die ich brauchte.
    Während ich auf den Safe starrte, die Hand mit dem tanzenden Flämmchen ins Dunkel gereckt, schwang die dicke Tür langsam auf. Er war leer. Ich senkte den Blick wieder auf Knarros’ sterbliche Überreste. Er hat einen Revolver benutzt! dachte ich benommen. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich in meinem Kopf die Tatsachen zusammenfügten, aber ich glaube, es war eine von den Situationen, wenn es einem nur so vorkommt, als liefe alles in Zeitlupe ab.
    Schließlich stürzte ich nach draußen, zog dabei die Strahlenpistole aus der Tasche und schoß in die Luft, ein-, zwei-, dreimal. Dann lief ich los, der Biegung der Mauer folgend, hoffte und hoffte, es möge nicht zu spät sein. Auf halbem Weg stieß der junge Kentaur Kris zu mir, der aus einem weiteren Gebäude mit übergroßer Tür herauskam und wissen wollte, was los wäre.
    Ich schätzte ihn auf ungefähr fünfzehn Jahre. Theoretisch bestand die Möglichkeit, daß er Knarros erschossen hatte, aber ausgerechnet mit einer Waffe von der Erde? Höchst unwahrscheinlich. »Hast du jemanden vorbeilaufen gehört?« fragte ich ihn keuchend.
    Er trabte neben mir her. »Nicht auf dieser Seite. Aber drüben waren Leute.«
    »Könnte ich das gewesen sein?«
    »Nein, Euch habe ich zur gleichen Zeit von oben herunterlaufen gehört. Aber was ist denn passiert?«
    »Jemand hat deinen Onkel erschossen.« Ich japste nach Luft. »Knarros war dein Onkel, oder nicht?«
    »Ich bin sein Schwestersohn, ja. Aber was ... Wie ...«
    »Nicht jetzt.« Verbissen lief ich weiter. Um nichts in der Welt wollte ich ihn allein zum Tor hinunterschicken, und wahrhaftig, als es in Sicht kam, sah ich meine sc hlimms ten Befürchtungen bestätigt: im vagen Zwielicht der Abenddämmerung ein schwarzes Rechteck in der Mauer, wo die Torflügel offenstanden, seitlich daneben zwei längliche, helle Erhebungen auf dem dunklen

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