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Eine Frage Der Groesse

Eine Frage Der Groesse

Titel: Eine Frage Der Groesse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Hoffmann
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gibt keinerlei Untersuchungen über einen Coolidge-Effekt beim Menschen. Insofern sind Sexualforscher inzwischen zu der Auffassung gelangt, dass hier wieder einmal der Anschein einer wissenschaftlichen Betrachtung benutzt wurde, um bestehende gesellschaftliche Vorurteile zu untermauern.
    So musste der Evolutionsbiologe David Buss auf einen Afrikaner vom praktisch unbekannten Stamm der Kgatla zurückgreifen, um zu »beweisen«, dass der Coolidge-Effekt existiert. Warum nur hat er dafür nicht einen Amerikaner, Briten, Portugiesen oder Japaner als Beispiel genommen? Weil es in den allermeisten Gesellschaftsformen unserer Erde einen solchen Hin-und-her-Wechsel von einer Frau zur anderen nicht gibt! Würde es sich dabei um einen natürlichen Trieb, ein genetisches Erbe handeln, wäre dieser doch weltweit verbreitet und institutionalisiert, statt nur bei obskuren Eingeborenenstämmen vorzukommen. Selbst in den Kulturen, in denen Polygamie erlaubt ist, nutzen nur etwa zehn Prozent der dortigen Männer ihr Recht.
    Gehen wir die Sache noch einmal von einer anderen Seite an: Laut einer Untersuchung, die das Hamburger GEWIS-Institut im Auftrag des Lifestyle-Magazins GQ durchführte, betrügen 46 Prozent der deutschen Ehemänner ihre Partnerin. Jeder zweite tut das mehr als einmal und die meisten sogar ohne schlechtes Gewissen: 67 Prozent finden einen Seitensprung als Revanche für weibliche Untreue akzeptabel, 30 Prozent, wenn es in der Ehe kriselt, 11 Prozent, wenn es sowieso nur ein Quickie zwischendurch ist statt einer längeren Affäre. 7 Prozent gar haben mit einem Seitensprung grundsätzlich kein Problem. Nicht einmal ein Drittel aller Männer finden Fremdgehen in keiner Weise akzeptabel. Wenn man solche Statistiken und ein paar besonders dramatische Einzelfälle geschickt zusammenschneidet, hat man einen wunderbaren Männer-sind-Schweine-Artikel für eine x-beliebige Frauenzeitschrift zusammen.
    Dumm nur, dass einer weiteren GEWIS-Studie zufolge das weibliche Geschlecht höchstens minimal besser dasteht. Hier zeigte sich, dass 42 Prozent aller befragten Frauen eine Affäre mit einem anderen Mann als dem eigenen haben oder hatten. Fast die Hälfte (41 Prozent) dieser Damen sind Serientäterinnen – und auch bei ihnen halten sich Gewissensbisse in engen Grenzen. Insbesondere zu einem Dauerverhältnis fühlen sich viele von ihnen berechtigt. Lediglich ein Drittel hat nach jedem Seitensprung Gewissensbisse, ein weiteres Drittel wenigstens ab und zu und das letzte Drittel nie. Da wundert es nicht, dass Protokollbände wie »Ich habe einen Liebhaber« zu Bestsellern wurden.
    Männer wie Frauen sind in ähnlichem Maße untreu; es wird in unseren Medien nur unterschiedlich präsentiert: In meinem Buch »Männerbeben« habe ich dazu beispielhaft zwei aufeinanderfolgende Artikel der Programmzeitschrift FUNK UHR analysiert. Im ersten Beitrag ging es um fremdgehende Männer, die natürlich als unreife, beziehungsunfähige Egoisten gebrandmarkt wurden. Fazit der Autorin: »Eigentlich unfassbar. Und doch irgendwie typisch Mann.« In der nächsten Ausgabe der Zeitschrift erschien ein Artikel über fremdgehende Frauen – der erklärte, wie befreiend ein solcher Seitensprung sei, dass die entsprechenden Frauen sich einsam fühlten, sich nur danach sehnten, wieder einmal begehrt zu werden …
    Ähnlich wurde mit doppelter Moral gemessen, als der Sender n-tv im Oktober 2004 von einer Studie berichtete, in der mehr Frauen als Männer angaben, schon einmal fremdgegangen zu sein. Prompt war nicht von Egoismus, Rücksichtslosigkeit und mangelnder Reife die Rede. Stattdessen hieß es: »Frauen auf der Überholspur. (…) Männer können beim Seitensprung noch etwas von den Frauen lernen.« Frauen seien nämlich viel mutiger als die männlichen Schlappschwänze: »Immerhin wagen bis zu 44 Prozent der deutschen Frauen einen Seitensprung, bei den Männern sind es 32 Prozent.« Diesmal wurde als Grund für den Seitensprung männliche Lustlosigkeit genannt. Die betrogenen Ehemänner müssten »einfach eine Doppelrolle als treusorgender Partner und aufregender Liebhaber zugleich abgeben. Dann würden die Frauen auch ihre Parallelbeziehung aufgeben.« Man stelle sich einmal die Proteste vor, wenn ein Nachrichtensender dasselbe bei umgekehrten Geschlechterrollen ausstrahlen würde. Aber das ist das Kuriose daran, wie die Geschlechterdebatte derzeit in unseren Medien geführt wird: Selbst wenn Untersuchungsergebnisse plötzlich exakt umgekehrt

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