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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Katzen und das Gelächter der Kinder klang nach Mörserhagel. Wenn in den Bergen der Donner grollte, ging er in Deckung, und wenn jemand sang, hörte er das Deutschlandlied. Wenn er nachts wach lag, glaubte er in der Brandung des Sees das ferne Brüllen schwerer Artillerie zu hören.
    Wendt und Teilmann hatten an jenem Abend, da sie ihn am Hafen abholten, sofort begriffen, wie es um ihn stand. Sie führten ihn hinauf zu Wendt’s Biergarten, wo Samblakira schon mit ihren Töpfen und Krügen wartete, setzten sich mit ihm in die Nähe der Hirsebieramphore und gaben ihm zu trinken.
    Rüter trank sehr viel an jenem Abend. Vor dem Essen lief Wendt zum Bierbrauer Mamadou, um eine zweite und eine dritte Amphore zu besorgen. Die zwei Bantumänner Mkwawa und Kahigi trafen ein, später auch der schöne Massai Mkenge. Nach dem Essen, als sich alle auf die Matten niedergelegt hatten, erzählte Rüter von der Überfahrt, dann vom Seegefecht, schließlich von der Rückfahrt. Er berichtete vom mitgereisten Kormoran, von den Keksen der Soldaten, vom Schrecken des Geschützlärms. Und dann fing er an zu weinen. Er verbarg das Gesicht in den Händen und weinte leise wie ein Kind.
    Hermann Wendt versuchte ihn zu trösten, klopfte ihm auf die Schulter und sprach ihm aufmunternd zu, wie man einem scheuenden Pferd zuspricht. Als das nichts half, ließ er von ihm ab und warf ratlose Blicke in die Runde. Samblakira kauerte an der Hauswand und schien zu schlafen. Rudolf Tellmann verabschiedete sich und verschwand in die Nacht hinaus, gefolgt von seinem Gepardenweibchen und den zwei Bantumännern. Nur der Massai-Krieger Mkenge blieb sitzen, sah in die Ferne und lächelte unter halbgeschlossenen Lidern. Hermann Wendt setzte sich zu ihm.
    «Was sollen wir mit ihm anstellen?», fragte er leise.
    «Lass ihn weinen», sagte Mkenge. «Jeder junge Krieger trauert nach dem ersten Kampf über den Verlust seiner Unschuld. Das ist normal und notwendig.»
    «Man sollte ihn trösten.»
    «Das kannst du nicht, und ich kann es auch nicht», sagte Mkenge. «Das kann nur die Zeit heilen. Oder eine Frau.»
    «Ja.»
    «Am besten seine eigene Frau», sagte Mkenge. «Vielleicht auch die Mutter. Aber die sind beide nicht hier.»
    «Nein», sagte Wendt.
    «Es ist falsch, dass ihr Schiffbauer in den Krieg zieht. Ihr seid gute Arbeiter, aber keine Krieger.»
    «Wahrscheinlich.»
    «Der Kapitänleutnant müsste euch laufen lassen. Er kann euch nicht gebrauchen.»
    «Das wird er nicht tun, es ist alles entschieden. Sobald die Götzen fertig ist, sind wir dran.»
    «Dann wäre es gut, wenn die Götzen möglichst lange nicht fertig würde.»
    «Wir sind aber fast fertig. Ein paar Wochen noch.»
    «Wer kann das wissen», sagte Mkenge. «Es könnte Schwierigkeiten geben. Etwas könnte kaputtgehen. Oder es stellt sich heraus, dass wichtige Bauteile fehlen.»
    «Es fehlt aber nichts.» Wendt schüttelte den Kopf. «Und wenn etwas kaputtgeht, muss ich es flicken. Deswegen bin ich ja hergekommen.»
    «Manchmal verschwinden Dinge über Nacht, dieses Land ist voller Diebe und Halunken. Und manchmal gehen Dinge derart kaputt, dass man sie nicht mehr flicken kann.»
    Mkenge legte zum Abschied die Hand aufs Herz und lief auf leisen Sohlen durch die Lücke im Dornenzaun.
    So waren sie nur noch zu dritt in Wendt’s Biergarten. Anton Rüter hockte auf den Fersen, versteckte das Gesicht in den Händen und wiegte sich leise vor und zurück. Samblakira saß ihm gegenüber an der Hauswand und stellte sich schlafend. Hermann Wendt legte Brennholz nach, setzte sich auf seinen selbst gezimmerten Stuhl und hielt die nackten Fußsohlen ans wärmende Feuer. Er betrachtete die Flammen, rieb sich den Nacken und dachte mit seinem mechanischen Verstand darüber nach, wie Anton Rüter zu helfen wäre. Er kannte das Problem, und Mkenge hatte ihm das Mittel zu dessen Lösung genannt; also war klar, was zu tun war. Die Schwierigkeit war nur die, dass ihm die Lösung nicht so recht gefiel. Aber dann sagte er sich, dass Anton Rüter ein Freund war, und dass man für einen Freund tun musste, was nun mal zu tun war. Er klatschte sich auf die Oberschenkel, bedankte sich bei Samblakira eine Spur zu laut fürs Essen und wünschte gute Nacht, verschwand in seinem Haus und verriegelte von innen gut hörbar die Tür.
    Nun war es ganz still. Anton Rüter wiegte sich noch immer vor und zurück, Samblakira hatte die Augen geöffnet und betrachtete ihn aufmerksam. Schließlich stand sie lautlos auf, ging rollenden

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