Eine Frage der Zeit
seinem Opfer stand. Der Täter hatte aus eiskalter Berechnung oder aus blanker Lust am Morden umgebracht.
Dass Kreutzer dazu imstande wäre, konnte sich Velten nicht vorstellen. Doch wer hatte den Restaurator dann auf dem Gewissen? Frustriert musste er sich eingestehen, dass der Kunstraub und alles, was danach geschehen war, für ihn genauso undurchschaubar blieb wie für die Polizei. Von den vier mutmaßlichen Mördern Konstantin Landaus waren zwei getötet worden, nämlich Stürmer und Rothaar. Auch Elke Volkmer, die als damalige Freundin der Schlüsselfigur Alexander Stürmer vielleicht mehr über die Hintergründe des Verbrechens gewusst hatte, war tot. Der dritte Tatverdächtige, Thomas Schatz, war seit drei Jahren spurlos verschwunden und vermutlich ebenfalls nicht mehr am Leben. Und dann war da noch Bernd Fleischmann, dessen mögliche Rolle bei dem Verbrechen immer noch unklar war. Die gestohlenen Bilder blieben verschollen. Velten hatte keine Idee, in welche Richtung er noch recherchieren sollte. Es schien, als würde dieser mysteriöse Fall weiterhin ungeklärt bleiben. Die drückende Hitze, das Bier und die Resignation ermüdeten ihn. Bald fielen ihm die Augen zu und er nickte ein.
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Stunden waren vergangen, seit Katja die SMS an Velten abgeschickt hatte. Sie hatte ihn noch zweimal erfolglos auf seinem Mobiltelefon angerufen. Sie machte sich keine Illusionen, es konnte noch eine Weile dauern, bis er bemerkte, dass er eine Kurznachricht erhalten hatte. Gut möglich, dass er sein Handy heute auch überhaupt nicht mehr in die Hand nahm. Dann würde sie ihm eben morgen alles im Pressehaus erklären. Katja nutzte die Zeit und schrieb an ihrem Tablet eine neue Version der Ereignisse der letzten drei Jahre. Die Finger flogen fast von selbst über die Tastatur und Satz für Satz fügte sich zu einer in sich plausiblen Theorie. Dabei war sie sich stets darüber im Klaren, dass ihre Hypothesen über das Schicksal von Alexander Stürmer, Thomas Schatz, Martin Rothaar und Elke Volkmer bislang noch nicht bewiesen waren. Doch sie spürte, nein sie wusste , dass sie auf der richtigen Spur war.
Mehr und mehr wurde ihr bewusst, welcher perfide Plan hinter allem steckte. Und trotz der Hitze lief ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken, als ihr dämmerte, mit welcher Menschenverachtung er in die Tat umgesetzt worden war. Einige Fragen blieben noch offen, doch sie war sich sicher, dass diese sich bald klären würden. Entweder würden sie und Velten die richtigen Antworten finden, oder die Polizei würde alles aufdecken. Katja wollte eben damit beginnen, die ungeklärten Punkte aufzulisten, als es an der Haustür klingelte. Endlich, Velten hatte doch noch einen Blick auf sein ungeliebtes Handy geworfen und ihre SMS entdeckt. Sie eilte zum Flur, drückte auf den Türöffner und rief „Erster Stock, Tür ist offen“ in die Sprechanlage.
Zurück an ihrem Rechner dachte Katja über Thomas Schatz nach. Sie glaubte zu wissen, was aus dem früheren Angestellten von Konstantin Landau geworden war, doch seine Rolle bei der Ermordung seines Gönners und dem Diebstahl der wertvollen Bilder gab ihr noch Rätsel auf. Hatte er den Tätern nur den Tipp gegeben, wann die Zeit für den Überfall günstig war? Oder hatte er ihnen die Tür geöffnet und sich an dem Raub aktiv beteiligt, vielleicht sogar Landau gemeinsam mit den anderen umgebracht? Vielleicht war er aber auch völlig unschuldig. Wie auch immer, er kam den Haupttätern sehr gelegen, um die Polizei auf eine falsche Spur zu locken. Ob Schatz ein Mittäter war, würde noch zu klären sein, ein Opfer war er auf jeden Fall, daran hatte sie keinen Zweifel mehr.
Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Sie hörte seine Schritte im Flur. Katja wollte noch den Gedanken zuende bringen, den sie gerade in den Computer tippte. „Schön, dass Sie die SMS noch gelesen haben, Velten“, rief sie ihm zu, ohne sich umzudrehen. „Sie werden nicht glauben, wer unser Mörder ist.“
Sie hörte, wie er hinter sie trat: „Das weiß ich längst. “
Katja erstarrte. Das ist nicht Veltens Stimme, schoss es ich durch den Kopf. Im gleichen Moment sah sie im Display ihres Smartphones, das neben dem Rechner in der Dockingstation steckte, das undeutliche Spiegelbild eines maskierten Mannes, der hinter ihr stand. Sie wollte aufspringen, doch er griff in ihre Haare und presste sie mit brutaler Gewalt nach unten. Vor Schmerz und Panik schrie sie auf. Ein stechender Geruch brannte in ihrer
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