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Eine Frau - Ein Bus

Titel: Eine Frau - Ein Bus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doreen Orion
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jungen Mann, der sich ein Tuch übers Gesicht und die Kapuze über den Kopf gezogen hatte und mit einer Waffe auf den inzwischen leeren Tresen zeigte. Das Mädchen war mittlerweile in Richtung Küche geflüchtet. »Die werden ausgeraubt. Er hat eine Waffe. Du rührst dich nicht vom Fleck«, sagte Tim ruhig, doch mit unüberhörbarer Eindringlichkeit in der Stimme. Ich erstarrte. Wir wussten, dass nur ein Weg nach draußen führte: vorbei an diesem Kerl. In diesem Moment sah er zu uns herüber. Tim fing seinen Blick auf. Ich starrte Tim an, voller Dankbarkeit, dass er derjenige war, der mit dem Gesicht zur Tür saß, da ich schwer bezweifle, dass es mir gelungen wäre, so ruhig zu bleiben. Doch es war mehr als das. In seinen Augen stand ein Ausdruck, der sagte: »Tu’s nicht. Was auch immer du vorhast, tu … es … nicht.«
    Ich vermute, es ist derselbe Blick, den er seinen Patienten auf den Psychiatriestationen zuwirft, die sich so hineingesteigert haben, dass sie zu ihrer eigenen Sicherheit
und auch zu der aller anderen festgeschnallt werden müssen. Die meisten Psychiater rufen an dieser Stelle nach dem Pfleger und schlurfen dann zur Schwesternstation, um den Vorfall zu melden. Aber nicht mein Tim. Er sorgte zwar dafür, dass er Hilfe hatte, für den Fall, dass er sie brauchte, aber normalerweise gelang es ihm, den Patienten nur mithilfe seines Verhaltens und seiner Worte zu beruhigen und die Deeskalation der Situation zu erreichen. In den wenigen Fällen, in denen es nötig war, den Patienten zu überwältigen, versuchte er, die Hauptarbeit zu übernehmen. Wann immer er mir später von dem Vorfall erzählte, schüttelte ich nur den Kopf. Ich war zwar stolz auf ihn, wünschte mir aber gleichzeitig, er würde wie ein »normaler« Psychiater handeln. Obwohl er offenbar wusste, was er tat, hatte ich stets Angst, es könnte ihm etwas zustoßen. Nun hatte es den Anschein, als mache sich seine Übung bezahlt.
    Der Junge zögerte kurz, doch dann stürzte er zur Tür hinaus.
    Tim bedeutete mir, ich solle mich unter den Tisch setzen, und schnappte mein Mobiltelefon. Er wählte den Notruf und erklärte der Telefonistin, wir wüssten nicht, ob der Kerl ums Haus laufen und sich das Mädchen schnappen würde, oder ob er vorhätte, zurückzukommen und uns etwas zu tun. Letztere Möglichkeit hatte ich noch nicht einmal in Betracht gezogen.
    »Ich gehe vorn raus und sehe mich mal um«, erklärte er mir. »Ich lasse mich nicht wie eine Ratte in die Ecke drängen.« Zum ersten Mal in meinem Leben kamen mir Ratten gar nicht so … nagermäßig vor. Stattdessen empfand ich sie als durchaus liebenswerte Geschöpfe. Wäre jetzt eine hier gewesen, hätte ich sie wahrscheinlich hochgehoben und ihr zum Beweis einen Kuss auf ihre hinreißende
Nase mit den süßen Barthaaren gedrückt. Doch da weit und breit keine zu sehen war, bettelte ich Tim an, hierzubleiben. Ich hatte Angst, dass er dem Kerl geradewegs in die Arme laufen würde. Er ließ sich nicht davon abbringen. Ich bettelte weiter und kratzte (ziemlich rattenmäßig, muss ich zugeben) an seinem Arm.
    Zum Glück wurde das Restaurant, innen hell erleuchtet und vollverglast, in diesem Moment von sechs Polizisten umzingelt. Tim, der begriff, dass er die einzig männliche Person im Restaurant (und damit der Verdächtige) sein könnte, hob die Hände und ging hinaus auf den Parkplatz. Das Mädchen, das mitbekommen hatte, dass die Polizei eingetroffen war, kam weinend aus dem Hinterzimmer. Als der Täter sie mit der Waffe bedroht hatte, war sie hineingeflohen, hatte die Tür verschlossen und … ihren Boss angerufen. (Also gut, ich an ihrer Stelle hätte ebenso dort Schutz gesucht, aber ich möchte doch annehmen, ich hätte mehr Kundenfreundlichkeit aufgebracht und wenigstens die Polizei alarmiert.) Die Polizisten befragten sie beide, doch weder Tim noch das Mädchen konnten eine detaillierte Beschreibung des Täters abgeben.
    Wir setzten uns wieder an unseren Tisch. Tim aß mit herzhaftem Appetit. Mir dagegen war er vergangen, außerdem zitterten meine Hände zu sehr, um unbeschadet mit dem Plastikbesteck umzugehen. Ich nahm einen Schluck von seinem Bier. Einen großen. Eigentlich hasse ich Bier. Aber in diesem Moment war es mir egal.
    »Tolle Burritos, aber an der Show müsste noch gearbeitet werden«, sagte Tim zu dem noch immer weinenden Mädchen, als wir gingen.
    Als wir im Jeep saßen, wollte er unbedingt noch zu einem Lebensmittelladen fahren, um Bier zu kaufen.

    »Spinnst du?«,

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