Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman
erfinden.
Wir lachten.
Sollen wir gehen? fragte Linda.
Zehn Minuten später verließen wir die Stadthalle. Es war noch nicht 22.00 Uhr, und wir beschlossen, in ein Lokal zu gehen, in dem Lindas Kollegen verkehrten. In Höhe der städtischen Schulverwaltung gestand Linda, daß sie an einem Roman arbeitete. Das heißt, sagte sie, ich habe noch nicht damit angefangen. Ich überlege jeden Tag, wie ich am besten in das Buch reinkomme.
Sie wissen, wovon Sie schreiben möchten?
Gott sei Dank, sagte Linda; der Stoff ist eine Reise auf einem Frachter von Bremerhaven nach New York, die ich mir vor zwei Jahren geleistet habe. Während der ganzen Überfahrt, zwölf Tage lang, bedrängte mich ein Seemann. Er wollte unbedingt mit mir schlafen, aber ich hatte keine Lust. Ich habe die Reise nur gemacht, weil ich zwölf Tage lang auf einem Schiff sein und dann New York sehen wollte.
Waren Sie völlig frei, oder mußten Sie arbeiten?
Ich habe als Steward gearbeitet, sonst wäre die Reise unbezahlbar gewesen.
Was ist ein Steward?
Küchenpersonal, sagte Linda; ich habe die Mannschaft bedient, morgens und abends. Der Seemann hat geglaubt, weil ich ihm morgens den Kaffee und abends die Suppe hinstelle, könnte er mich auch nachts in seine Koje ziehen.
Und dann? In New York?
New York war am schlimmsten, sagte Linda; ich konnte dem Kerl nicht ausweichen. Für New York hatte ich nur drei Tage Zeit, dann fuhr der Dampfer wieder zurück. Auch an diesen drei Tagen lief er mir hinterher. Er wollte mit mir in ein Hotel gehen. Ich traute mich nicht, ihm einfach davonzulaufen, weil ich mich in New York absolut nicht auskannte. Ein bißchen war ich sogar froh, daß ein Mann mit mir war, weil ich oft Angst hatte. Leider hat er das bemerkt und völlig falsch ausgelegt.
Und die Rückfahrt, wie war die?
Unerträglich, sagte Linda; je länger die Jagd dauerte, desto weniger konnte er fassen, daß nichts klappte. Am Ende hat er mich einfach angefaßt, in der Küche. Ich hatte gerade eine Pfanne in der Hand, die habe ich ihm auf den Kopf geschlagen.
Diesen Roman müssen Sie sofort schreiben, sagte ich.
Und womit soll ich anfangen?
Mit der Pfanne, sagte ich und lachte; nein, mit der Arbeit als Küchenhilfe; nein, mit New York; nein, mit dem Kerl, daß Sie ihn nicht mochten; nein, fangen Sie mit Ihrer Mutter an.
Mit meiner Mutter?
Sie war doch bestimmt dagegen, daß Sie die Reise machten.
Das ist wahr, sagte Linda.
Den Rest des Weges schwiegen wir. Das Lokal hieß »Zum grünen Baum« und lag am Nordrand der Innenstadt. Es war eine einfache Bierwirtschaft mit hohen, nikotinbraunen Wänden. Es war überfüllt. Sogar in den beinahe dunklen Ecken saßen Menschen an kleinen Tischen und redeten unablässig. Links zog sich eine Theke hin, an der es kaum einen freien Platz gab. Linda bewegte sich auf einen Mann zu (ich dicht hinter ihr), der zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt war und den ich bei einem Termin schon einmal gesehen hatte. Er trug einen einreihigen Anzug, dessen dunkelbraune Farbe zu den Wänden des Lokals paßte. Er hatte einen kleinen, fast schmalen Kopf und rauchte Orientzigaretten. Er hieß Kaltenmeier, Wolfgang Kaltenmeier. Linda stellte mich vor, Kaltenmeier wandte sich mir zu und bestellte ein Bier für mich.
Herr Kaltenmeier schreibt an einem Schelmenroman, sagte Linda zu mir.
Mußt du gleich alles verraten, scherzte Kaltenmeier und hob sein Glas.
Ich wußte damals nicht, was ein Schelmenroman ist, aber das war im Augenblick nicht wichtig. Zum zweiten Mal an diesem Abend traf ich auf einen Menschen, der an einem Roman arbeitete. Es entstand dadurch das Gefühl, an einer beträchtlichen Bedeutsamkeit teilzuhaben. Kaltenmeier stützte sich mit beiden Ellbogen auf die Theke und redete mit erfahrungsschwerer Stimme. Er sprach gegen die Flaschen und Gläser im gegenüberliegenden Buffetschrank, und er hatte es gern, daß es auf beiden Seiten Menschen gab, die ihm zuhörten. Ich merkte, für Linda war Kaltenmeier eine Instanz, auf die es ankam. Er redete jetzt über die Peripetie, auf die sich sein Roman zubewegte. Ich merkte mir das Wort, ich würde es morgen früh nachschlagen. Nach zwanzig Minuten ging Kaltenmeier auf die Toilette. Linda sagte mir, daß er ein Kollege von ihr war und in der Wirtschaftsredaktion arbeitete. Sie fügte hinzu, daß ich ihn nicht auf seine Tätigkeit bei der Zeitung ansprechen sollte. Ich wollte wissen warum, aber da kam Kaltenmeier schon zurück. Er nahm einen langen Schluck und sagte, er
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