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Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman

Titel: Eine Frau, eine Wohnung, ein Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Genazino
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Eiffelturm, der tatsächlich ganz und gar aus Streichhölzern erbaut war. Das Modell war auf einem Schreibtisch abgestellt, dicht neben einem Fernsehapparat.
    Ahh! machte ich anerkennend.
    Dazu habe ich eintausendfünfhundert Arbeitsstunden benötigt, sagte Wagenblaß.
    Ich notierte die Zahl.
    Rund fünfzig Tuben Uhu sind dabei draufgegangen, sagte der Rentner.
    Auch diese Zahl notierte ich.
    Allerhand, sagte ich.
    Jetzt raten Sie mal, sagte Wagenblaß, wieviel Streichhölzer ich für den Eiffelturm gebraucht habe.
    Frau Wagenblaß sagte: Als nächstes wird er den Schiefen Turm von Pisa nachbauen.
    Phantastisch, sagte ich.
    Ein Kollege hat ihm hundert Mark geboten für den Eiffelturm, sagte Frau Wagenblaß.
    Hundert Mark! wiederholte Wagenblaß halb empört.
    So etwas gibt man doch nicht her, sagte Frau Wagenblaß, nicht einmal für tausend Mark!
    Ich notierte treuherzig: Er verkauft den Eiffelturm nicht. Nicht einmal für tausend Mark. Die Ehefrau pflichtet ihm bei.
    Was glauben Sie, wiederholte er, wieviel Streichhölzer habe ich für den Eiffelturm verwendet? Tausend? Zweitausend? Dreitausend?
    Tausend vielleicht? fragte ich.
    Ha! machte Wagenblaß; weit daneben! Schätzen Sie nochmal!
    Sein Versuch, mit mir eine Art Fernsehquiz zu veranstalten, reizte meine Überheblichkeit. Ratlos sah ich Frau Wagenblaß an. Vielleicht würde sie mir helfen. Aber auch sie wartete auf meinen zweiten Versuch.
    Haben Sie den Eiffelturm an Ort und Stelle studiert, oder haben Sie nach Abbildungen gearbeitet? fragte ich.
    An Ort und Stelle?! sagte Wagenblaß.
    Frau Wagenblaß kicherte.
    Sie meinen, ob ich persönlich in Paris war?! Wagenblaß lachte. Wo denken Sie hin?! Auch als Rentner bleibt man sauber.
    Nach dieser Antwort hörte ich auf, das Gefühl meiner Überheblichkeit zu bekämpfen. Ich hörte Wagenblaß nur noch mit einem Ohr zu. Seine schlichten Gedanken waren durchschaut, noch ehe er sie gedacht hatte. Wenig später klingelte es, Frau Wagenblaß öffnete die Wohnungstür. An seiner Stimme erkannte ich den Fotografen Hassert. Er hatte heute seinen Angebertag. Vier Kameras hingen neben- und übereinander vor seiner Brust. Hassert grüßte in die Runde und legte umständlich seine Kameras auf dem Tisch ab. Frau Wagenblaß war eingeschüchtert und räumte den Pflaumenkuchen weg. Hassert tat, als müßte er prüfen, welche Kamera für diesen Raum am besten geeignet war. Ich hatte nichts gegen das Getue des Fotografen einzuwenden, im Gegenteil. Seit Hassert im Raum war, fiel nicht mehr auf, daß ich keine weiteren Fragen stellte. Wagenblaß hielt das Fotografiertwerden für die Fortsetzung des Interviews. Er war völlig verblendet davon, daß gleich zwei Presseleute mit ihm beschäftigt waren. Um meine Überheblichkeit abzustillen, stellte ich mir Herrn Wagenblaß eine Weile als Hund vor. Wie schön wäre es gewesen, wenn in dieser Wohnung ein Hund gewohnt hätte, der mich mit seiner Hundefrau empfangen und mir dann den von ihm gebastelten Eiffelturm gezeigt hätte! Dann hätte ich meine Bewunderung gewiß nicht verhehlen können. Gemessen am Ungeschick eines Hundes wäre der Nachbau des Eiffelturms eine absolut staunenswerte Leistung gewesen, die sogar von der Weltpresse hätte beschrieben werden müssen. Herr Wagenblaß, fragte ich leise in mir, warum sind Sie kein Hund geworden? Dann wären Sie berühmt, in aller Welt! Die Hundephantasie vertrieb immerhin meine schlechte Laune. Ich sah jetzt dabei zu, wie Hassert den Rentner und seinen Eiffelturm postierte und dann fotografierte. Mal mit Ehefrau, mal ohne, mal mit Zündhölzern, mal ohne. Ich nahm mir vor, die Einzelheiten des Raumes nicht zu genau zu betrachten. Der Anblick des Tropfenfängers an der Kaffeekanne verursachte mir Übelkeit. Es war ein ekliger Gummipfropfen, der mit zwei Flitschen am Griff der Kanne befestigt war. Wenn mir der Ekel zu nahe kam, flüchtete ich schnell zu meiner Hundephantasie. Gerade flüsterte ich Herrn Wagenblaß zu: Wenn Sie ein Hund wären, wüßten Sie nicht, was ein Tropfenfänger ist. Ich wartete ruhig, bis Hassert fertig war. Frau Wagenblaß forderte uns auf, Kaffee zu trinken und Pflaumenkuchen zu essen, aber Hassert und ich spielten ihr die Nummer GEHETZTE REPORTER vor, gegen die sie machtlos war. Nach etwa einer Viertelstunde hatte der Fotograf die Bilder im Kasten, wir verabschiedeten uns. Hassert nahm mich im Auto mit, wofür ich dankbar war.
    Gegen 12.30 Uhr traf ich in der Redaktion ein. Herrdegen wollte über den

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