Eine Frau flieht vor einer Nachricht
verschiedene Richtungen. Ora dachte, das Baby merkt gar nicht, dass es die Hand eines Menschen hält, mehr noch, es merkt gar nicht, dass es auf einem lebendigen Menschen sitzt. Diese besorgniserregende Unklarheit wuchs noch, als es die Finger der Hand bemerkte und sie interessiert untersuchte und mit ihnen zu spielen begann, aber noch immer den Kopf nicht drehte. um zu sehen, wem die Hand gehörte und auf wessen Schoß es saß. Es beugte und streckte die Finger der fremden Hand und schüttelte die ganze Hand hin und her, als sei sie ein weiches Spielzeug in Form einer Menschenhand oder ein Handschuh, ab und zu lächelte es den tanzenden Akiba und die jungen Mädchen und Frauen an, die aus der Küche kamen, und nachdem es die feinen Finger ausführlich untersucht, über die Fingernägel und einen frischen Kratzer, den es entdeckte, gestaunt hatte – Ora erinnerte sich, wie Avram sich mit endlosem Hand-zur-Faust-Ballen gequält hatte, damit seine Hände etwas sehniger wurden – drehte das Baby Avrams Hand um und betastete mit dem Finger die weiche Handfläche.
Alle waren jetzt damit beschäftigt, den Tisch zu decken, und niemand außer ihr bemerkte, was das Baby tat. Es drückte seine Lippen in das Innere von Avrams Hand, blökte ein sanftes und angenehmes Ba-ba-ba und genoss mit seinem ganzen Sein den Klang und das Kitzeln, das es wohl in den Lippen spürte. Auch in Oras Hals und Mund schwebte ein anregendes Summen, ihre Lippen spürten es auch, und in ihr murmelte es stimmlos ba-ba-ba.
Mit beiden Händen hielt das Baby die Handfläche, umhüllte mit ihr seine Wangen und sein Kinn und gab sich ganz diesen Berührungen hin – Ora erinnerte sich an Avrams überraschend dünne Haut, an seine zarte Haut am ganzen Körper –, und die dunklen Perlenaugen des Babys konzentrierten sich auf irgendetwas hinten im Zimmer und es staunte mit allen seinen Sinnen über seine eigene Stimme, die in derMuschel, die es sich geschaffen hatte, widerhallte. In dem Durcheinander um sich herum lauschte es nur seiner eigenen Stimme, die von außen und von innen kam, als lausche es das erste Mal einer Geschichte, die es sich selbst erzählte. Ora konnte den Blick nicht abwenden und sah, wie es in dem weichen Nest, das es sich gebaut hatte, versank, als spüre es, dass Avram ein guter Ort war, um eine Geschichte zu erzählen. Avram rührte sich nicht, atmete kaum, um es nicht zu stören, erst nach einer Weile bewegte er sich – eine Art Räuspern des ganzen Körpers – und setzte sich etwas in seinem Sessel auf, und Ora sah, dass seine Schultern weicher wurden und sich öffneten und seine Unterlippe etwas zitterte, Bewegungen, die nur sie wahrnahm, weil sie wusste, wann sie sie erwarten konnte. Wie sehr hatte sie früher diese Spiegelungen seiner erwachenden inneren Stürme gemocht, denn jedes Gefühl, das ihn durchlief, hinterließ an ihm ein Zeichen, etwa wenn er wie ein junges Mädchen errötet war, und sie fragte sich, ob sie ihm zur Hilfe eilen und ihm das Baby abnehmen sollte, doch dazu war sie nicht in der Lage. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass jetzt auch Akiba mitbekam, was sich da abspielte, und dass er während seines Tanzens in die Küche und zurück die ganze Zeit diese Szene beobachtete, er sah nicht aus, als sorge er sich um das Baby, und ihr Herz sagte ihr, dass sie seiner Gelassenheit trauen konnte.
Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und erlaubte sich, in Avram zu versinken, der endlich sein Gesicht zu ihr hob und ihr einen langen, vollen Blick zuwarf, den Blick eines lebendigen Menschen, und da spürte Ora tatsächlich den Atem des Babys in ihrer Handfläche und wie es, ohne sie zu berühren, auch auf ihr einen Abdruck seiner warmen Lebendigkeit hinterließ, und ihre Hand schloss sich über diesem geheimnisvoll brennenden Fleck, über dem Kuss eines kleinen Menschenwesens in Windeln. Avram schien zu fühlen, was in ihr vorging, und zeigte es ihr mit einem ganz leichten Nicken des Erkennens, und sie antwortete mit einer ähnlichen Bewegung; das erste Mal, seit sie aufgebrochen war, und im Gegensatz zu der Verzweiflung, die vor nur zwei, drei Stunden, als sie ihr Gesicht in der Erde vergrub, an ihr gefressen hatte, zog in ihr der Gedanke auf, dass es vielleicht gut werden würde, dass sie und Avram zusammen vielleicht doch das Richtige taten. Gerade in diesem Moment fing das Baby zu weinen an, plötzlichschlug seine Stimmung um, vielleicht hatte Avram es ein bisschen gedrückt, als er sich in ihre Augen vertieft
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