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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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gekitzelt und zu einer Bemerkung gereizt hätte, Lidspalte, Schamspalte, Pospalte, all diese Spalten, die er mit Wonne im Munde führte, es reicht, bricht sie ab, lass ihn in Ruh, er wohnt da wirklich nicht mehr. Andererseits hört er ihr ja schon ein paar Minuten zu, während sie von Ofer spricht, und schmettert sie nicht ab wie sonst. Also öffnet er ihr vielleicht doch ein Törchen, einen kleinen Spalt.Spalten waren für sie in letzter Zeit ein vertrautes Nistgebiet, sie war geradezu ein Spaltentierchen geworden, und nach zwei pubertierenden, gut gepanzerten Jungen und jetzt mit Eran, der ihr höchstens eineinhalb Stunden pro Woche zugestand, da war sie dem gewachsen.
    Sofort hat sie sich bei uns wie zu Hause gefühlt, erzählt Ora beim Abstieg weiter und unterdrückt einen leichten Seufzer, denn etwas hatte sich verändert, als Talia dazugekommen war und immer öfter mit ihnen am Esstisch saß, bei ihnen übernachtete und sogar zusammen mit ihnen auf Urlaub ins Ausland fuhr (plötzlich musste ich nicht mehr allein zur Toilette gehen, erinnert sie sich), aber wie soll sie ihm das erzählen, wie soll sie einem wie ihm (bei der Wohnung, in der er lebte, in dieser Dunkelheit und Einsamkeit) diese kleine Verschiebung im Gleichgewicht zwischen den Männern und den Frauen in der Familie erklären, und wie ihr Gefühl, dass bei ihnen vielleicht zum ersten Mal die Weiblichkeit einen Platz und ein Gewicht bekommen hatte. Wie erzählt man so etwas? Was davon kann er in seiner Situation verstehen? Interessiert es ihn überhaupt? Ehrlich gesagt ist sie auch noch nicht bereit, ihm gegenüber, gegenüber einem fast Fremden, zuzugeben, wie sehr es sie erstaunt und auch ein bisschen geschmerzt hatte, dass diese Talia ohne jede Anstrengung etwas bekam, was sie selbst nie auch nur versucht hatte, von ihren drei Männern zu fordern. Denn sie hatte beinah von Anfang an auf die volle Anerkennung der drei, dass sie eine Frau war, verzichtet, und auf ihr Recht, sich als Frau in einem Haus von drei Männern selbst und anders zu bestimmen, auch auf die Einsicht, dass die Tatsache ihres Frauseins nicht bloß eine weitere anstrengende, lästige Laune von ihr war und auch kein lächerlicher Protest gegen das Authentische, wie alle drei es sie nicht selten spüren ließen. Ora läuft schneller, ihre Lippen bewegen sich, ein leichter Kopfschmerz beginnt in ihr zu summen wie in der Gymnasialzeit vor einem Blatt voller Gleichungen. Was Talia – weiß Gott, wie – mit den ganz kleinen Bewegungen ihres Wesens ausgerichtet hatte! Ora grinst vor sich hin, ärgert sich ein bisschen, sogar der selige Nikotin, der Hund, sogar bei dem vollzog sich ein peinlicher Wandel, wenn Talia bloß in seine Nähe kam.
    Es hat mir wahnsinnig weh getan, als sie gegangen ist, erzählt sie weiter, dabei habe ich gemerkt, wie es sich anbahnte, vor allen anderenhabe ich es gemerkt, denn plötzlich kam Talia nicht mehr jeden freien Moment zu uns, sondern wich mir aus, plötzlich hatte sie keine Zeit mehr, mit mir morgens einen Kaffee zu trinken oder einfach ein bisschen auf dem Balkon zu quatschen. Dann kam sie mit der Idee, nicht zur Armee zu gehen und stattdessen ein Jahr nach London zu fahren, da Sonnenbrillen zu verkaufen, ein bisschen Geld zu verdienen, Kunst zu studieren und ein paar Erfahrungen zu machen. Als sie »Erfahrungen machen« sagte, hab ich Ilan sofort gewarnt, die brütet etwas aus, und Ilan sagte, wie kommst du denn darauf, die phantasiert bloß, sie liebt ihn doch, und ein Mädchen mit einem so eigenen Kopf, wo würde die noch einen wie ihn finden. Aber ich war beunruhigt und meinte herauszuhören, dass Ofer in ihren Plänen plötzlich nicht mehr vorkam oder dass sie seiner ein bisschen müde war, was weiß ich – im Stillen sagt Ora sich, sie war mit Ofer durch –, aber Ofer fiel aus allen Wolken, als es dann passierte, er war total schockiert, und ich habe den Eindruck, er hat es noch nicht überwunden.
    Ora zieht die Lippen ein, alles hast du gesehen, Frau Adlerauge, sie richtet ihren Stachel nach innen und dreht ihn schmerzhaft in der Wunde, bloß bei Ilan hast du die Zeichen nicht gesehen. Und mit einem sonderbaren Genuss fügt sie hinzu: Er war mit dir durch.
    Wie fröhlich sie früher gewesen ist, denkt Avram und wirft einen Blick auf ihr Gesicht, immer hat sie gelacht. Er erinnert sich, wie er sie bei ihrem Grundwehrdienst im Ausbildungscamp besucht hat, er war am Rande des Appellplatzes entlanggelaufen und konnte plötzlich angesichts

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