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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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sie beide, du brauchst nicht zu wissen, was du da auslost, dieses Lachen klang ihr noch immer in den Ohren, seitdem haben sie nie mehr so gelacht. Zweiundzwanzig waren sie gewesen, im letzten Monat ihres Dienstes beim stehenden Heer, sie studierte schon in Jerusalem, im ersten Jahr, damals noch Sozialpädagogik, eine ganze Welt hatte sich ihr da aufgetan, und sie meinte, ein Riesenglück zu haben, so früh schon ihre Bestimmung zu kennen – nein, nein, beharrte Ilan am Telefon, es ist besser, wenn du nicht weißt, was du auslost, so bist du objektiver. Na gut, sie ließen sich ein bisschen von ihrem Drängen erweichen, du darfst raten, aber nur im Stillen, und bitte schnell; los, Ora, die warten schon auf uns, draußen steht der Command Car (und da begriff sie: Command Car? Einer von ihnen darf nach Hause? Aber wer? Und sofort rannte sie los, holte eine Schirmmütze, ihre alte vom Militär, nahm ein Blatt Papier, riss es entzwei, in zwei gleiche Teile, und in ihr brodelte der Aufruhr: Wen von ihnen wollte sie bei sich haben?). Zwei gleiche Zettelchen wiederholte Ilan ungeduldig, einen mit meinem Namen, den andern mit dem von Wampe. Avram stieß einen verhaltenen Schrei in Ilans Rücken aus und rief: Auf den einen schreibst du »Ilan« und auf den anderen »Gott«,oder, wenn ich’s mir überlege, schreib einfach »Zebaoth«. Jetzt ist’s aber gut, unterbrach ihn Ilan, Schluss mit dem Gequatsche, und jetzt zieh einen raus. Hast du gezogen? Was hast du gezogen? Bist du dir sicher?
    Ora wiegt in der Hand einen kleinen, kantigen Stein und säubert ihn langsam und gründlich von allem Staub. Avram kauert ihr gegenüber, die Hände verschränkt, seine Handgelenke werden weiß.
    Weiter?
    Was? Ja, okay.
    Dann stand er vor mir. Ich konnte noch nichtmal aufstehen, eine solche Schwäche hatte mich überfallen. Ich war ein Haufen Trümmer. Hatte keine Kraft, mich zuzudecken. Er schaute mich nicht an. Ich spürte, er ekelte sich vor mir. Ich ekelte mich auch vor mir selbst. Jetzt spricht sie mit verkrampfter Stimme, als müsse sie alles bis ins letzte Detail berichten: Und er sagte, er werde diese Nacht ein bisschen draußen rumlaufen, sich in ein Café setzen, das nachts offen hat, und morgen früh werde er anrufen. Ich fragte ihn, ob er sich nicht von Adam verabschieden wolle. Er sagte, besser nicht. Ich dachte, ich muss aufstehen und kämpfen, wenn nicht für mich, so doch für Adam, denn wenn ich jetzt nichts unternehme, gibt’s schon bald nichts mehr zu ändern, denn bei Ilan wachsen solche Entscheidungen in Blitzgeschwindigkeit, du kennst ihn ja, binnen weniger Sekunden hat er eine neue Realität geschaffen, eine prächtige Siedlung mit roten Ziegeldächern und Kopfsteinpflaster, die keiner mehr räumen kann.
    Und schau, wie ich mich geirrt habe, murmelt sie staunend. Für einen Augenblick rudern Ilan und Adam vor ihrem inneren Auge in einem Holzbötchen mit gut abgestimmten Bewegungen durch die Wildnis eines Dschungels einen grünen Fluss hinauf: Siehst du, wie zum Schluss alles ganz anders wurde, als ich gedacht hatte. Alles kam genau umgekehrt.

    Morgens rief er an, er hatte sich in irgendeinem Hotel ein Zimmer genommen und sagte, er werde sich eine kleine Wohnung mieten. Nicht weit von euch – hat er gesagt. Verstehst du? »Von euch«! Binnen weniger Stunden war er schon nicht mehr einer von uns. Geschweige denn von mir.
    Er mietete sich eine Wohnung in Talpiot, so weit weg wie möglich,am anderen Ende der Stadt. Zweimal am Tag rief er an, morgens und abends, ganz fair, immer verantwortungsbewusst, du kennst ihn ja, so hat er mich ganz sanft umgebracht. Und ich, blöd, wie ich war, hab am Telefon geheult, er soll doch zurückkommen, ich hab mich vor ihm so erniedrigt und hab ihn mit diesem Geheul bestimmt noch mehr abgestoßen, aber ich hatte nicht die Kraft, die Heldin zu spielen, ich war körperlich und seelisch völlig fertig. Keine Ahnung, woher ich überhaupt Milch zum Stillen hatte und wie es mir gelang, mich um Adam zu kümmern. Meine Mutter kam gleich, voll guter Absichten, aber nach etwa zwei Tagen begriff ich, was da ablief, was sie mir antat und wie sie sofort anfing, Adam mit anderen Kindern zu vergleichen, und dabei kam er natürlich nicht gut weg, und ich bat meinen Vater, zu kommen und sie wieder mitzunehmen, ich sagte noch nicht einmal, warum, und das Schlimmste war, dass er es auch so verstand.
    Die Freundinnen kamen sofort, Notstandsrekrutierung, sie haben geholfen, gekocht und saubergemacht, alles

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