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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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vor einer schlechten Nachricht, und die heißt Ofer. Drittens fliehst du vor einer schlechten Nachricht, und die bin ich. Er saugte verlegen die Lippen ein, Unsinn, Ora, sagte er, was machst du mir hier mitten auf dem Weg für eine psychologische Analyse. Doch sie spürte plötzlich viel Kraft und sagte: Versteh doch, manchmal ist eine schlechte Botschaft gerade eine gute Botschaft, die du nur nicht erkannt hast. Versteh doch, dass etwas, was früher vielleicht mal eine schlechte Botschaft war, mit der Zeit zu einer guten werden kann. Vielleicht zu der allerbesten, zu einer, die du dringend brauchst. Sie gab ihm seine Hand zurück und schloss seine Finger um den Zweig mit den sonnengelben Knospen. Komm, Avram, lass uns gehen.

    Rechts von ihnen eine hohe Antenne und ein langer Maschendrahtzaun, auf dessen anderer Seite ein hässliches Fort lag, allem Anschein nach ein Fort der britischen Polizei. Dunkle Betongebäude, Wachtürme und schmaläugige Fenster. Jescha-Fort, liest Ora auf einem kleinen Schild. Nichts wie weg hier, stößt sie hervor, das hat mir grade noch gefehlt. Aber der Weg, wendet Avram zögernd ein, schau doch, der Weg führt da durch.
    Gibt es keinen anderen Weg?
    Sie schauen sich um, es gibt keinen anderen, das heißt, es gibt noch einen, der ist rot markiert, doch der Mann aus dem Wadi hatte gesagt, wenn sie dem blau-weiß-orangefarbenen Zeichen folgten, kämen sie nach Jerusalem, nach Hause. Für einen Moment kommt Ora durcheinander und fragt sich: Aber von zu Hause wolltest du doch fliehen, oder? Warum willst du dann plötzlich …
    Sie dreht sich zu Avram um, drückt ihm den Zeigefinger auf die Brust und entscheidet: Wir gehen hier durch, aber schnell. Wir halten uns nirgends auf. Und erzähl mir unterwegs etwas.
    Was soll ich erzählen?
    Egal. Red mit mir, erzähl mir was, was weiß ich, von deinem Restaurant.
    So erfuhr sie, beim eiligen Weitergehen, dass er in den letzten beiden Jahren, nachdem ihm im Pub gekündigt worden war, in einem indischen Restaurant im Süden der Stadt gearbeitet hatte. Sie suchten da einen Tellerwäscher. Zum Abwaschen war er nicht bereit gewesen, das ließ ihm zu viel Zeit zum Nachdenken, aber Böden wischen und allgemeines Putzen ja, durchaus. Er und der Schmutz waren schon seit Jahren so – er rieb zwei ausgestreckte Finger aneinander –, gute Freunde. Er lächelt sie an, versucht erfolglos, sie von dem schütteren Kiefernhain abzulenken, achtundzwanzig Kiefern, an jeder eine hölzerne Tafel mit einem Namen; eine Kiefer für jeden, der hier im April und im Mai 1948 gefallen ist, als man versuchte, das Fort von den arabischen Kämpfern zu erobern.
    Mit dem Staubsaugen hab ich auch kein Problem, brabbelt Avram weiter, und kleine Botendienste, warum nicht? Junge für alles, das war ein guter Job.
    Gut? fragt sie und schaut ihn von der Seite an. Dieses Wort hatte sie schon lange nicht mehr aus seinem Mund gehört.
    Junge Leute, so ganz relaxte Indienfahrer, hängen da ab.
    Weiter, erzähl weiter, murmelt sie, geht heldenhaft an einer Tafel mit einem Gedicht von Mosche Tabenkin vorbei, das ein schnauzbärtiger Tourguide einer kleinen Wandergruppe gerade laut vorliest. Die müssen alle taub sein, denkt Ora ärgerlich und beschleunigt ihren Gang, der schreit ja fast, und die umliegenden Hügel werfen sein Echo zurück: Wie eine Kiefer war unser Junge, eine Knospe vom Feigenbaum, wie knorrige Myrtenwurzeln, er war der glühendste Mohn.
    Jetzt red schon weiter, murrt sie, was schweigst du auf einmal?
    Und Avram, schnell: Im Grunde besteht das Restaurant nur aus einem großen Raum, sehr groß, eher ein Saal, ohne Trennwände, nur Stützsäulen. Das ganze Gebäude ist ziemlich runtergekommen; Avram beschreibt es mit in Falten gelegter Stirn, wie einer, der eine wichtigeZeugenaussage macht, bei der es auf jedes Detail ankommt, und sie ist ihm dankbar für die vielen Einzelheiten, die es ihr ermöglichen, sich von dem marmorgefliesten Gedenk-Platz dorthin zu versetzen. Die achtundzwanzig Namen sind in Stein gehauen; sie erinnert sich, dass es hier auch ein großes Massengrab gibt, mit dreizehn war sie mal auf einem Klassenausflug hier. Der Klassenlehrer hatte in kurzen Hosen vor ihnen gesessen und laut von einem Blatt abgelesen: »Nebi Joscha war eine Festung am Weg, heut ist es ein Fixpunkt in der Geschichte.« Ora hatte auf dem Marmorplatz heimlich eine Clementine geschält, und eine Lehrerin hatte sie angeschrien: »Ein bisschen Respekt vor den Gefallenen!« – Ach,

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