Eine Frau flieht vor einer Nachricht
dunkel, als er sie anschaute. Sie spürte, dass er sich Sorgen um sie machte, und auf diese Sorge reagierte ihre Haut. Sie dachte, von dieser Zartheit muss sie sich sofort und auf der Stelle losreißen.
Entschuldigung, flüsterte sie, aber das passt jetzt einfach nicht.
Sie setzten ihren Aufstieg fort, Avram vorneweg, sie hinter ihm, der Blick des Mannes bohrte sich in ihren Rücken, und noch immer versuchte sie zu raten, was sie in den Nachrichten gemeldet hatten und wie ernst die Lage wohl war. Zumindest hatte sie erfahren, dass es dort noch nicht zu Ende war, dass der Einsatz sich diesmal wohl hinziehen würde, sie hatte ja schon die ganze Zeit gespürt, dass dort alles schiefgehen und nur noch immer schlimmer werden würde. Gleichzeitig nervte es sie, dass er sie schon einige Minuten von hinten betrachtete. Das war nicht gerade ihre starke Seite, und keiner konnte sie davon überzeugen, dass sie da falsch lag. Noch mehr nervte es sie, dass sie tatsächlich in der Lage war, sich, während dort alles schiefging und immer schlimmer wurde, über so einen Quatsch aufzuregen.
Nach diesem Aufstieg kamen sie auf einen von starkem, klarem Morgenlicht überfluteten Weg, den sie schweigend entlanggingen. Ora war noch immer verblüfft, mit welcher Schnelligkeit Avram sich zwischen sie gestellt hatte, als müsse er sie um jeden Preis vor der Außenwelt und deren Vertretern schützen, und ebenso vor jedem bisschen Information, was dort passierte. Vielleicht schützte er ja auch sich selbst,überlegte sie, verstand es nicht ganz, dachte dann aber wieder an seinen vegetarischen Eid, erinnerte sich an die schwarze Reihe durchgestrichener Striche an der Wand über seinem Bett, an die Hoffnung in seiner Stimme, als er sie am Tag von Ofers Entlassung zu Hause angerufen hatte. Jetzt ist es vorbei, nicht wahr? hatte er gefragt, sein Militärdienst ist vorbei? In diesem Moment war sie nicht in der Lage gewesen zu verstehen, wie sehr er anscheinend auf Ofers Entlassung gewartet, wie sehr er in den letzten drei Jahren um ihn gebangt hatte, Tag für Tag, einen Strich machen und durchstreichen, einen Strich machen und durchstreichen.
Sie beschleunigte ihren Gang. Sie folgten einem schmalen Pfad zwischen Büschen, so hoch wie sie. Ginster, plötzlich fiel ihr der Name wieder ein, davon hatte dieser Mann gesprochen, Dornginster blühte gelb zu beiden Seiten, verströmte seinen feinen, geradezu sichtbaren Duft, und hier diese gelbweißen kleinen Blüten, diese Hundskamille, wie von Kindern gemalt, und die Zistrosen, die Schierlingsblüten und die blauen Storchschnabel und ihr geliebtes Echium judaeum , das sie in all den Tagen kaum bemerkt hatte, aber was hatte sie überhaupt bemerkt? Und schau dort, freudig streckte sie den Arm aus, ließ Lungen und Augen weit werden, dieses wahnsinnige Rot, dieser Baum hier, der Judasbaum.
Der Berg war mit runden gelben Kissen von Wolfsmilch gepolstert, rosafarbene Decken von Ricotia lunaria . Ora brach einen Ginsterzweig ab, zerrieb ihn zwischen den Fingern und ließ Avram riechen, und als sein Gesicht nah an ihrer Hand war – sein großes, verlorenes Gesicht –, erinnerte sie sich daran, wie er Ilan angeschrien hatte, er wolle keinen Kontakt, keinerlei Kontakt mit dem Leben. Da kam ihr ein neuer Gedanke: Vielleicht hatte Avram gerade in den letzten Jahren, als Ofer beim Militär war, und vielleicht noch viel mehr jetzt, wo er dort bei dem Einsatz war, erkannt, dass ausgerechnet, wenn Gott behüte dieser eine Verbindungsfaden, den er zu ihnen hatte, reißen würde, er sich plötzlich dem Leben mit den dicksten Stricken verbunden fühlen würde, mit Stricken solcher Qualen, denen nur das Ende des Lebens ein Ende machen könnte, und Avram nieste sie laut an, gleichsam zur Bestätigung.
Entschuldige, murmelte er, wischte ihr Speichelspritzer und Ginsterpollenvon Stirn und Nasenspitze, und sie ergriff sein Handgelenk und sagte ihm direkt ins Gesicht, darin hast du Übung, was?
Worin? Er war verärgert, blickte sie misstrauisch an. Im Fliehen vor einer schlechten Nachricht, sagte sie, du bist darin tausendmal geübter als ich, nicht wahr? Dein Leben lang fliehst du vor einer schlechten Nachricht. Und sie schaute ihm direkt in die Augen und hegte nicht den geringsten Zweifel, dass sie recht hatte, und sie hielt seine Hand und klappte ihm einen Finger nach dem anderen um und sagte skandierend dazu: Erstens fliehst du vor einer schlechten Nachricht, und die ist das Leben überhaupt. Zweitens fliehst du
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