Eine Frau flieht vor einer Nachricht
könnte sie doch auch heute so dermaßen dumm und unbeleckt von jedem Schmerz auf dem Marmorplatz eine Clementine schälen. Es ist gut, ein bisschen vor den Nachrichten zu fliehen, hatte der Mann gesagt, vor allem nach dem, was gestern war; in ihrem Körper windet sich ein Schrei, will raus, und Avram erfüllt weiter seine Aufgabe und führt sie durch ein Viertel mit Autowerkstätten, Transportfirmen und Massagesalons im Süden Tel Avivs. Er führt sie eine gewundene dreckige Treppe hinauf. Aber ab dem zweiten Stock liegen auf der Treppe plötzlich Teppiche, Bilder hängen an den Wänden, und es riecht nach Räucherstäbchen; dann trittst du ein, sagt er, und plötzlich erinnert sie sich, auch der legendäre Palmachnik Dudu war hier gefallen, und in ihrem Kopf summt die Melodie von Ich hatt einen Kameraden .
Dieser ganze große Saal, tönt Avrams Stimme irgendwo aus seinem Kleinindien, ist mit Teppichen ausgelegt, es gibt viele niedrige Tischchen, man sitzt auf großen Kissen, und wie du reinkommst, siehst du gegenüber am fernen Ende schon einen Herd mit großen Töpfen, verrußten riesigen Töpfen.
Sie verlassen das Gelände des Forts, Ora atmet erleichtert aus, schaut Avram dankbar an, und der zuckt nur mit den Schultern.
Die Worte kehren zu ihm zurück, denkt sie benommen.
Du wirst lachen, sagt er später, ich bin da der Älteste.
Was du nicht sagst, murmelt sie, schaut heimlich zurück auf das Fort, dem sie soeben entronnen sind. Komm, lass uns hier über die Straße gehen.
Wirklich, sagt er verlegen, zuckt nochmal mit einer Schulter, als entschuldige er sich für einen Streich, den man ihm irgendwann in den Jahren, in denen sie aus seinem Leben verschwunden war, gespielt hat. Der Besitzer ist ganze neunundzwanzig, die Köchin vielleicht fünfundzwanzig. Und alle andern sind auch noch Kinder, süße Kinder, fügt er lächelnd hinzu, und Ora fühlt sich ein bisschen betrogen. Warum begeistert er sich für fremde Kinder!
Alles Indienkenner. Ich war als Einziger noch nicht dort. Aber ich weiß schon ganz gut Bescheid. Und da gibt es keine Kündigungen. Bei denen wird niemandem gekündigt.
Sie gehen zwischen fleischigen Feigenkaktushecken hindurch und gelangen an eine große Grabanlage mit Kuppeln auf dem Dach und Bäumen, die aus den Mauern wachsen. In den großen Zimmern, die zum Hulatal hin offen sind, liegen hier und da Decken und Bettzeug, auch leere Essschüsseln, Gaben, die die Gläubigen dem Propheten Joscha dargebracht haben, das ist der biblische Josua, Sohn Nuns.
Da arbeiten Leute, erzählt Avram, die keiner sonst einstellen würde.
Leute wie er, denkt sie und versucht, ihn sich dort vorzustellen. Der Älteste, hatte er mit ehrlichem Staunen gesagt, als wäre dies völlig abwegig. Als wären Ora und er noch immer zweiundzwanzig, und alles andere wäre ein Irrtum. Sie sieht ihn zwischen diesen jungen Leuten mit seinem Gewicht, seinem starren Blick und seiner Langsamkeit, mit dem großen Kopf und dem spärlichen, aber langen Haar, das an beiden Seiten runterhängt. Wie ein Professor im Exil, der seinen Ruhm verloren hat, bedrückt und lächerlich zugleich. Aber dass sie einem dort nicht kündigen, das beruhigt sie.
Und nach dem Essen geben sie dir auch keine Rechnung.
Woher weiß ich dann, was ich bezahlen muss?
Du gehst zur Kasse und sagst, was du gegessen hast.
Und die glauben mir?
Ja.
Und wenn ich sie betrüge?
Dann hast du wohl keine andere Wahl.
Gibt es so was echt? In ihr flammt ein kleines Licht auf.
Siehst du, ja.
Bring mich sofort dahin.
Er lacht. Sie auch.
An den Wänden hängen große Fotos, die jemand in Indien oder Nepal aufgenommen hat; ab und zu wechseln sie die Bilder. Seitlich, neben der Tür zu den Toiletten, stehen drei Waschmaschinen, die immer in Betrieb sind. Für jeden, der sie braucht. Umsonst. Und während die Gäste essen, bietet man ihnen alle möglichen Behandlungen an, wie Reiki, Shiatsu, und Diagnosen anhand der Fußsohle. Er selbst werde, sobald der Umbau fertig ist, für die Dolci zuständig sein.
Für die Dolci zuständig – wiederholt sie seine Worte.
Plötzlich beginnen die Bilder zu laufen. Schnell zu laufen. Sie sieht ihn rumrennen, abräumen, Müll ausleeren, Staubsaugen, Kerzen und Räucherstäbchen anzünden, seine Bewegungen faszinieren sie, seine Flinkheit und Leichtigkeit. Avram d.f.s., so hatte er sich früher neuen Mädchen vorgestellt und mit der Hand eine Girlande durch die Luft gezeichnet: dick, flink und schmiegsam.
Wer will, kann
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