Eine Frau flieht vor einer Nachricht
noch nicht mal Hitler hat dich gewollt. In diesem Moment hatte Ora beschlossen, dass sie einmal eine traumhafte Familie haben würde; dies war ein unverrückbarer, kristallklarer Beschluss, nicht so, wie kleine Mädchen sich manchmalihr Leben ausmalen. Für Ora war es eine Lebensentscheidung: Sie würde eine eigenen Familie haben, mit Mann und Kindern, zwei Kinder, nicht mehr, und sie würden in einem Haus wohnen, wo es immer hell war, bis in die entlegensten Winkel. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ein lichtdurchflutetes Haus ohne jegliche Schatten, in dem sie, ihr Mann und ihre beiden Kinder sich fröhlich bewegten. Auch sie waren durchsichtig und versteckten nichts, so dass es dort solche Überraschungen nie geben würde. Mit fünfzehn und mit zwanzig dachte sie noch immer, sie würde zumindest einen Menschen auf der Welt haben, oder zwei oder drei unter all den geheimnisvollen, unberechenbaren Fremden, die sie wirklich kennen würde.
Von einem Brief zum nächsten merkte sie, in welchem Maße ihr verborgene Zusammenhänge klar wurden, indem sie sie zu Papier brachte, und es überraschte sie auch ein bisschen, dass sie so genau beschreiben konnte – hatte sie doch immer gedacht, sie sei vor allem im Zuhören gut, darin, guten Schreibern zuzuhören. Später spürte sie dann, dass sie schreiben wollte, schreiben musste, und mindestens ebenso wollte sie, dass er las, was sie zu sagen hatte, und dass er ihr immer wieder schrieb, was er in ihr sah.
Und viele Grüße an Ilan.
Einmal hatte er ihr geschrieben: Du bist meine erste Liebe.
Da war sie für zwei Wochen untergetaucht, und danach schrieb sie ihm, sie sei noch nicht so weit, über Liebe zu reden. Sie habe das Gefühl, sie seien beide noch zu jung, noch nicht reif genug, und überhaupt wolle sie mit diesen ganzen Sachen wie der Liebe noch ein paar Jahre warten. Er schrieb, jetzt, nachdem sie ihm dies ausdrücklich mitgeteilt und er es Ilan erzählt habe, sei er sich seiner Liebe zu ihr völlig sicher, sein Schicksal liege nun in ihrer Hand, und er legte einen frankierten Antwortumschlag bei. Sie bat ihn inständig, ihr nicht weiter von seiner Liebe zu schreiben, das würde nur Nervosität und ungesunde Gefühle in ihre schöne und reine Beziehung bringen. Er antwortete, a) ist Liebe meiner Meinung nach das gesündeste, schönste und reinste Gefühl, das es gibt, und b) kann ich nicht mehr aufhören, über meine Liebe zu dir zu reden. Meine Liebe zu dir, meine Liebe zu dir, meine Liebe zu dir, und mit diesen Worten schrieb er die ganze Seite voll.
DAS WAR KEINE LIEBE AUF DEN ERSTEN BLICK , schrieb er ihr in einem Telegramm, das er ein paar Stunden nach diesem Brief abschickte und das eine Woche vor dem Brief ankam, HABE DICH SCHON LANGE VORHER GELIEBT STOP BEVOR ICH DICH KANNTE STOP HABE DICH AUCH RÜCKWÄRTS GELIEBT STOP NOCH BEVOR ES MICH ÜBERHAUPT GAB STOP DENN ICH WURDE ERST ICH ALS ICH DICH TRAF . Sie schickte einen kurzen Brief, es falle ihr schwer, jetzt weiter mit ihm zu korrespondieren, sie habe gerade viele Prüfungen und Wettkämpfe und sei sehr beschäftigt. Zum Beweis legte sie einen Artikel aus Maariv für die Jugend bei über einen Hochsprungwettbewerb im Wingate Institut, an dem sie teilgenommen hatte. Er schickte ihr ihren Brief zusammen mit der Asche des verbrannten Artikels zurück und schrieb ihr dann drei Wochen lang nicht, und sie wurde fast wahnsinnig vor Erwartung, bis er sich wieder meldete, als wäre nichts gewesen:
»Gestern war ich mit Ilan, Friede seiner Seele, auf einem Jazzkonzert (er bestellt dir zu meiner großen Verwunderung diesmal Grüße und will mir die ganze Zeit über die Schulter schauen, was ich dir schreibe, obwohl er weiterhin darauf beharrt, dass du ihn nicht im Geringsten interessierst!). Also, wir waren gestern im »Puss-Puss«, einem Klub hier, und es war wundervoll; ich hatte eine Menge Erlebnisse mit lauter Gazellen, die mit mir zwar Blicke tauschten, aber leider keine Telefonnummern. Bei der Musik gelang es mir, ein klareres Bild über die Sammlung meiner Mädchen in der letzten Zeit zu bekommen, und ich habe ein paar interessante und fundierte Theorien über sie entwickelt, vor allem über dich: Ich denke, letztlich wirst du dein Schicksal nicht mit meinem verbinden, sondern mit dem eines anderen Knaben, mit Ilan oder jemand anderem vom Typ Ilan. Jedenfalls mit einem, der deinen Nabel nicht, wie ich, vor Jauchzen tanzen lässt, der dich nicht, wie ich, mit Wortspielen um den Verstand bringt und der nicht,
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