Eine Frau flieht vor einer Nachricht
erwachsen, es gibt schon Enkel, die kenne ich kaum. Aber ansonsten versuche ich, ausgeglichen zu sein, ohne Reue und ohne Sehnsucht, und ich denke, ich komme diesem Zustand schon ziemlich nah.«
(Wir redeten noch ein bisschen, und ich wollte mich gerade verabschieden, da lud er mich ein, mit ihm einen Tee zu trinken. Er hatte gute Kräuter dabei. Sehr scharfe. Wir unterhielten uns noch ziemlich lange, er erzählte mir aus seinem früheren Leben, und als wir uns wirklich schon verabschiedet hatten, rief er mich aus der Ferne zurück, denn plötzlich war ihm noch etwas eingefallen.)
»Einmal in der Woche besucht uns im Kloster eine Nonne von den Philippinen, eine junge Nonne aus dem Schwesternkloster in Nazareth. Die kommen manchmal zum Unterricht zu uns. Sie ist in ihrem Denken nicht besonders entwickelt, kennt gerade mal ein paar Tatsachen im Zusammenhang mit der Heiligen Schrift, aber den Glauben kann sie nicht wirklich begreifen. Ich rede mit ihr viel über den Glauben, biete ihr ein bisschen geistige Führung an, das ist für mich sehr befriedigend, denn so ordne ich auch meine eigenen Gedanken. Das ist eine ernsthafte Übung für mich.
Und jetzt glaube ich doch, dass ich vielleicht wirklich etwas bereue.
(Er zündet sich eine Zigarette an.)
Meine Frau war ein prima Mensch und auch eine gute Mutter für unsere Kinder. Aber irgendwie hat sie in mir nie den Wunsch geweckt, ihr die Welt zu Füßen zu legen, verstehen Sie, was ich meine? Das bereue ich. Dass ich ihr nicht die Liebe zurückgeben konnte, die sie verdient hat. Und dass ich ihr weh getan habe, als ich mich für das klösterliche Leben entschied.
Und vielleicht bereue ich noch etwas: Dass ich nie die große Liebe zu einer Frau empfunden habe. Dass ich in meinem Leben vor dem Kloster keine Frau gefunden habe, der ich mich bedingungslos hingeben konnte, die für mich der Zielhafen war. Dazu bin ich ein zu selbständiger Mensch. Interessant, bei Kazantzakis habe ich gelesen, dass ein Mann auf Kreta seine Frau umbrachte, weil er sie zu sehr liebte und sich davor fürchtete, von einem Menschen zu sehr abhängig zu sein. So eine totale Liebe habe ich nie erlebt. Nein.
Merkwürdig, heute, wo ich schon ziemlich alt bin, spüre ich zwischen mir und dieser Nonne, von der ich Ihnen erzählt habe, eine ganz besondere Nähe, eine völlig reine Nähe. Ich habe schon in der Jugend alle möglichen Sprachen gelernt, Arabisch, Sanskrit, Hebräisch – die Spiritualität des Ostens hat mich sehr geprägt, und irgendwie zieht es mich auch zu – ich will nicht sagen exotischen Menschen, zu Menschen, die anders sind als ich.«
(Ich beschließe, ihn zu fragen.)
»Nein … Das spielt sich überhaupt nicht auf der körperlichen Ebene ab. Jeder von uns geht seinen Weg, und es ist völlig klar, dass sie überhaupt nicht an so etwas denkt. Wir treffen uns einmal in der Woche, reden, beten zusammen, gehen manchmal ein bisschen spazieren. Hier gibt es sehr schöne Wege, die die meisten Leute nicht kennen.
Und ich unterrichte sie. Die Sache mit dem Glauben ist bei ihr noch ziemlich schwach, und es ist gar nicht so leicht, wo wir so gegensätzlich sind. Sie isteine einfache Frau – Bildungsstand des religiösen Lehrerseminars für Englischlehrerinnen in Manila. Aber sie ist voll Leben. Wirklich, sie, wie soll ich sagen, sie verströmt Begeisterung. Wenn sie zum Beispiel ›Amazing Grace‹ singt, ein Lied, das sie im Lehrerseminar gelernt hat, – das müssten Sie hören.«
(Jetzt sitze ich auf einem Felsen im Wald, drum herum Stille und Vögel. Wie klug hast du gerade diese Fragen für mich ausgesucht, die so tief dringen, und wie hast du für mich bis zum Schluss noch etwas gesucht, das ich bei meinem Wandern außerdem machen sollte. Ich sitze hier und denke, im Grunde hast auch du in allem, was du getan hast, immer »etwas Zusätzliches« gesucht. So hast du es geschafft, dass ich bei jeder zufälligen Begegnung unterwegs auch immer bei dir bin.)
Ob sie sich ähnlich sind, hast du gefragt. Plötzlich fällt ihr die Frage aus der Nacht wieder ein.
Ja, das hab ich gefragt.
Ofer ist, glaub ich, eher ein bisschen – nein, eher nicht, hmm …
Was?
Ach, das ist schwierig. Ich sag mal so: Adam ist so … Was will ich überhaupt sagen? Sie stülpt verlegen die Lippen vor. Komisch, dass es mir plötzlich so schwerfällt, sie zu beschreiben. Fast alles, was ich über sie sagen will, erscheint mir jetzt zu ungenau.
Sie rappelt sich auf und sammelt ihre Gedanken von neuem:
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