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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Anlässen machen wir immer eine kleine Glückwunschzeremonie …
    Wieder zögert sie. Unsere Familienangelegenheiten, alle diese kleinen Zeremonien, fragen ihre Augen – tun die dir weh? Und seine Augen signalisieren ihr: Erzähl bitte weiter. Wie immer verbot uns Adam, ihn zu beglückwünschen, das dürfen wir in der Öffentlichkeit nicht. Darin ist er Ilan so ähnlich. Avram lächelt und sagt: Damit euch ja nicht die Leute hören, die schon einen Monat im Voraus die Tische um euch herum bestellt haben, um euch zu belauschen, nicht wahr? Ganz genau, bestätigt Ora – sie taut langsam wieder auf –, doch an diesem Abend sagte Adam plötzlich, ich bin bereit, aber nur Ofer darf was sagen. Ilan und ich sagten sofort, in Ordnung, so überrascht waren wir, dass er überhaupt einwilligte. Und ich dachte, meinen Glückwunsch werde ich ihm später sagen, wenn ich mit ihm allein bin, oder ich schreib ihn ihm, ich habe ihm und eigentlich allen dreien immer Glückwünsche geschrieben, denn ich denke, ich dachte, dass jeder solche Anlass eine Gelegenheit ist, Ereignisse oder einen ganzen Zeitabschnitt zusammenzufassen, und ich wusste, er hebt meine Glückwünsche auf …
    Hör mal, sagt sie, hast du gemerkt, wir reden schon richtig miteinander.
    Es ist mir zu Ohren gekommen, sagt er.
    Um das alles zu schaffen, müssen wir dreimal das ganze Land durchqueren.
    Warum nicht, sagt Avram.
    Sie schweigt.
    »Wo war ich stehengeblieben«, fragt Avram danach an ihrer Stelle, und er antwortet: Im Restaurant, die Glückwünsche von Ofer.
    Stimmt, der Geburtstag.
    Sie taucht wieder ab. An diesem Wochenende erlebte sie die letzten Augenblicke ihres vorsichtigen, zerbrechlichen Glücks, plötzlich meint sie zu verstehen, was sie hier in diesen Tagen macht: Sie hält Avram eine Trauerrede auf die Familie, die mal war und nicht mehr sein wird.

    Dann nahm Ofer den Kopf zwischen die Hände, stützte die Ellbogen auf den Tisch, dachte einige Augenblicke still nach, er hatte es wirklich nicht eilig. Er ist immer etwas langsamer als Adam, sagt sie und fügthinzu: Überhaupt ist er irgendwie schwerfälliger und stämmiger, in seinen Bewegungen, beim Reden und auch im Aussehen. Wenn fremde Leute die beiden sehen, denken sie meistens, er wäre der Ältere, und dort im Restaurant war es so schön, wie er diese Bitte von Adam richtig ernst nahm.
    Dann fing er an, zuerst wolle er sagen, wie froh er sei, Adams kleiner Bruder zu sein, und in all den Jahren, seit er auf demselben Gymnasium wie Adam war, und noch mehr seit er in dem Regiment ausgebildet wurde, in dem Adam war, lerne er Adam auch durch all die anderen Menschen kennen, die ihn kennen, die Lehrer, die Soldaten und Offiziere. Erst sei es ihm auf die Nerven gegangen, dass alle ihn aus Versehen Adam nannten und ihn nur als Adams kleinen Bruder sahen, aber jetzt …
    Im Ernst, sagte Ofer langsam mit seiner tiefen, rauhen Stimme, die ganze Zeit kommen Leute und reden mit mir über dich, was du für ein Mensch bist, was für ein Freund, wie du Verantwortung übernimmst, alle kennen deine Witze, und jeder im Regiment hat seine eigene Geschichte, wie du ihm geholfen, wie du ihn ermutigt hast, als es ihm beschissen ging …
    Das ist Adam, fragt Avram vorsichtig nach, du sprichst von Adam, nicht wahr?
    Ja, sagt sie ein bisschen stolz, auch uns war diese Seite von ihm neu. Ilan sagte sogar, Ofer zerstöre gerade leichtfertig den Ruf, den Adam sich über Jahre mühsam zu Hause erworben habe.
    Oder das »Bingo«, das du erfunden hast, lachte Ofer, das man bis heute an der Schule nach dir nennt.
    Was ist das? mischte Ilan sich ein.
    Man wählt sieben Wörter, erklärte Ofer, die ein Lehrer bestimmt nicht im Unterricht benutzen wird, sagen wir mal – »Pizza« oder »Bauchtänzerin« oder »Eskimo«, und wenn die Stunde anfängt, sitzen alle schon mit der Liste der Wörter da und müssen dem Lehrer scheinbar arglose Fragen zum Thema der Stunde stellen, damit er diese Worte alle im Laufe des Unterrichts sagt.
    Ilan beugte sich vor, über den Tisch, seine Augen glänzten, seine Finger verschränkten sich nach und nach miteinander: Und der Lehrer hat natürlich keine Ahnung.
    Null Ahnung, sagte Adam, grinste breit, der ist nur hin und weg, dass sich auf einmal alle an seinem langweiligen Unterricht beteiligen.
    Oho, sagte Ilan und schaute Adam mit Hochachtung an, eine prächtige Natter hab ich da in meinem Schoß großgezogen.
    Adam senkte bescheiden den Kopf. Ofer lächelte Ilan an, der »geniale Funke«,

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