Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Und sie schwor sich, jetzt den Mund zu halten. Alles, was sie sagen würde, wäre falsch, lieferte ihm bloß weitere Beweise ihrer Dummheit und Oberflächlichkeit. Hätte sie doch die Kraft, von seinem Bett aufzustehen, in ihr Zimmer zurückzugehen und ihn für immer zu vergessen. Und den da auch. Sie musste schnell gesund werden. Damit sie hier rauskam. Jeder Moment, den sie länger mit diesen beiden Nachtwandlern zusammenblieb, brachte sie aus dem Gleichgewicht. Wie hatte ihr das überhaupt passieren können, dass sie plötzlich mit zweien, Gott im Himmel, mit zweien, die sie nicht kennt, echt überhaupt nicht kenn…
    Avram, genug jetzt!
    Was?
    Komm, vergessen wir das. Ich weiß auch nicht, was ich hab …
    Ist auch egal …
    Ich hab dich genervt.
    Macht nichts.
    Aber du, du …
    Was ist mit mir?
    Warum bist du abgehauen? Warum bist du mir grad in dem Moment abgehauen, wo ich …
    Keine Ahnung, ich hab dir doch gesagt, ich weiß es nicht. Plötzlich musste ich einfach …

    Avram?
    Was?
    Vielleicht gehn wir zurück in mein Zimmer?
    Wieso?
    Das ist besser für uns.
    Und was ist mit ihm?
    Weiß nicht.
    Sollen wir ihn hierlassen?
    Ja, komm, komm …
    Aber er …
    Komm schon.

    Halt mich fest, Avram.
    Pass auf, dass wir nicht beide fallen.
    Geh langsam. Mir dreht sich alles.
    Lehn dich bei mir an.
    So ist es gut.
    Gib mir deine Hand.
    Hörst du sie?
    Stundenlang macht die das.
    Ich hab vorhin von ihr geträumt.
    Was?
    Ganz furchtbar. Ich hab schreckliche Angst vor ihr gehabt.
    Was kann sie schon …
    Es war ein echter Albtraum.
    Was für ein Weinen …
    Hör doch, als ob sie was vor sich hin singt.
    Klagelieder.

    Und sag mal, meinte sie später, als sie auf ihrem Bett saßen …
    Was?
    Wenn du schreibst, wenn du diese …
    Meine Limericks, die Schwänke aus meinem Leben?
    Blödmann! Deine Geschichten!
    Also, was willst du wissen?
    Erfindest du alles, oder schreibst du auch Sachen, die du erlebt hast?
    Manchmal schon. Kommt drauf an.
    Und über hier, über das Krankenhaus, willst du auch was schreiben?
    Vielleicht, ich weiß nicht. Eigentlich hatte ich schon eine Idee, aber …
    Erzähl!
    Wirklich?
    Jetzt erzähl schon.
    Avram richtete sich mühsam auf, lehnte sich gegen die Wand. Er verstand sie und ihre Umschwünge nicht, und trotzdem konnte er, wie ein Kätzchen einem davonrollenden Wollknäuel, dem »Jetzt erzähl schon!« nicht widerstehen.
    Das ist über einen Jungen, der im Krankenhaus liegt, mitten im Krieg, er steigt aufs Dach und hat Streichhölzer …
    So wie ich …
    Ja, aber nicht genau. Denn mitten in der Verdunklung fängt er an, mit den Streichhölzern den feindlichen Flugzeugen Zeichen zu geben.
    Ist der verrückt?
    Nein, er will, dass sie zu ihm kommen und ihn bombardieren, ihn persönlich.
    Aber warum?
    Das weiß ich noch nicht. Ich hab nur bis hierher gedacht.
    Geht’s dem so dreckig?
    Ja.
    Ora fragte sich, ob Avram wohl aufgrund dessen, was Ilan erzählte, darauf gekommen war. Sie traute sich nicht zu fragen. Stattdessen sagte sie: Das macht mir ein bisschen Angst.
    Echt? Red weiter.
    Was? Was soll ich sagen?
    Erklär das ein bisschen.
    Wie denn?
    Mit Worten.
    Sie versank in Gedanken. Spürte, wie eingerostete Rädchen in ihrem Hirn anfingen, sich zu bewegen. Auch Avram schien sie zu spüren. Er wartete schweigend.
    Sie sagte: Ich stell mir das vor. Er steht auf dem Dach. Und er macht ein Streichholz nach dem andern an, nicht wahr?
    Ja, sagte er und streckte sich in neuer Erregung.
    Und er schaut in den Himmel, in alle Richtungen, wartet darauf, dass sie kommen, die Flugzeuge. Er weiß nicht, aus welcher Richtung sie kommen, nicht wahr?
    Stimmt. Ja.
    Vielleicht sind das die letzten Augenblicke seines Lebens. Er hat furchtbar Angst, aber er muss weiter auf sie warten. Er ist ein ziemlicher Sturkopf, aber auch mutig, oder?
    Ja?
    Ich glaub, in diesem Augenblick ist er der einsamste Mensch auf der Welt.
    Daran hab ich nicht gedacht, lachte Avram verlegen, aber du hast recht. An seine Einsamkeit hab ich noch gar nicht gedacht.
    Wenn er wenigstens einen Freund hätte, würde er das nicht tun, nicht wahr?
    Stimmt, er würde nicht …
    Jetzt sehe ich mehr.
    Was siehst du?
    Ich sehe ihn da alleine stehen.
    Was noch?
    Aber er will es auch so, so ganz allein. Verstehst du?
    Nein, erklär mir das.
    Das ist so, als … als ob er. Meinst du, er zwingt sich dazu, zu glauben, dass er immer allein sein wird?
    Ja?
    Ich dachte …
    Was?
    Vielleicht machst du ihm jemanden in der Welt?
    Warum?
    Damit er jemanden hat,