Eine Frau flieht vor einer Nachricht
und wenn sie wieder rauskäme, würde sie genauso reden wie er, mit seinen Witzen, seinen Geistesblitzen, seinen Phrasen und dieser Show, die er immer abzieht, und sie sagte sich ganz ehrlich, sie wisse einfach nicht, was im nächsten Moment aus ihr rauskommen würde, was für eine Ora sie sein würde, und ehrlich gesagt, das war ein ziemlich gutes Gefühl.
Es ist ein altes Lied, von früher, als ich dreizehn war, warnte sie.
Sing’s mir vor.
Versprich mir erst, dass du nicht sagst, es wär debil.
Nein, nein, prustete er mit seinem schnaubenden Lachen, so ein Versprechen, das ist zu viel verlangt.
Musst du immer das letzte Wort haben?
Immer.
Sie hob den Kopf, ignorierte ihn und seine übertriebenen Augen und fragte sich, ob auch Ilan im Zimmer am Ende des Flurs sie hören könne, was er über sie denken würde, doch auch der war ihr im Grunde schon egal, denn wenn er sie wollte, würde er sie nehmen, wie sie war. Sollen beide sie so nehmen, wie sie war.
Sie wandte sich von ihnen beiden ab, in Richtung Fenster, zum aufziehenden Morgen, der hinter dem Riss im Verdunklungspapier rosa schimmerte, und erklärte, das geht mit dem Refrain von Wir sind die Pioniere, die jeder kennt , und sie holte tief Luft und stürzte sich kopfüber in die Abgründe der Peinlichkeit:
Wir pflücken die Orangen, das können wir.
Braucht ihr uns? Schon sind wir hier!
Wir turnen durchs ganze Kibbuzrevier,
aber noch viel lieber klauen wir
den Käse aus der Kühlschranktür.
Sie wartete, bis ihre Stimme verhallt war, und drehte sich nicht wieder zu ihm um, sie kam sich idiotisch und lächerlich vor, doch sie hatte bereits etwas Stärke aus dem Lied selbst gewonnen, und von dem herrlichen Arbeitseinsatz im Kibbuz Bejt-HaSchita, bei dem sie und Adadieses Lied in den vorletzten Sommerferien gedichtet hatten, und erinnerte sich daran, wie Ada ihr an einem Faden vom oberen Bett einen Zettel heruntergelassen hatte: »Ohne dich könnt ich keine halbe Stunde auf der Welt sein.« Aber du bist nicht auf der Welt, Ada, nimm’s mir nicht übel, du bist schon nicht mehr hier, also bitte, lass mich gehn, ich will gehn. Schau her, ich gehe jetzt.
Sie drehte schwungvoll den Kopf, fuhr sich mit den Fingern durch die abgeschnittenen orangenen Locken und dachte, vielleicht sollte ich sie ja doch wieder wachsen lassen, nur versuchsweise.
Klingt das doof?
Entsetzlich, sagte Avram, und seine Augen leuchteten im Dunkeln, aber du singst so schön.
Nein. Echt?
Ich werd über uns schreiben, wiederholte er, schwor er sich und wusste nicht, wohin mit sich.
Willst du noch eins?
Aber langsamer. Du verschluckst ja die Hälfte.
Sag bloß, du willst in den tieferen Sinn der Worte dringen? Sie schickte ihm ein gezieltes Lächeln. Das hab ich schon vor langer Zeit gedichtet, sagte sie, wir haben das zusammen geschrieben, Ada und ich. Zur Abschlussfeier auf einem Arbeitseinsatz im Kibbuz Machanajim. Die haben mit uns eine Schnitzeljagd gemacht, und wir haben uns total verlaufen. Frag nicht.
Ich frag nicht, sagte er lächelnd.
Dann frag!
Was hast du Ilan erzählt?
Das wirst du nie im Leben erfahren, sagte sie.
Hast du ihn geküsst?
Was? Sie schreckte zurück, was hast du gesagt?
Was du gehört hast.
Vielleicht hat er ja mich geküsst? Sie zog frech die Augenbrauen hoch, machte einen auf Ursula Andress, bis zum Schluss, ohne sich zu genieren. Und jetzt halt die Klappe und hör zu. Das geht auf »tschingerassa bumm«, kennst du das?
Klar doch, sagte Avram, misstrauisch und bezaubert, und wand sichin dem unerwarteten Vergnügen. Alles war unerwartet – dass er hier so saß, dass es ihnen gelang, im letzten Moment gerettet zu werden, vor einem endgültigen, bitteren Abschied, und dass er wegen eines Mädchens jubelte, das Lieder auf »tschingerassa bumm« sang.
Ora sang und schlug auf dem Schenkel den Takt:
Wir gingen auf die Schnitzeljagd, tschingerassa bumm,
mit neuem Gruppenleiter, tschingerassa bumm,
damit wir nicht verlorengehn, tschingerassa bumm
doch half er uns nicht weiter …
Tschingerassa bumm, brummte Avram leise vor sich hin. Ora warf ihm einen Blick zu, und ein ganz anderes Lächeln, still und zart wie eine Knospe, leuchtete in ihr auf, ihr Gesicht leuchtete, und er dachte, sie ist einfach ein reiner, absolut argloser Mensch, sie kann sich überhaupt nicht verstellen, wie unterschiedlich wir doch sind, und wie sie sich freuen kann, dachte er, vielleicht mit drei Jahren hatte er das so gekonnt wie sie, und was für einen Mut sie
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