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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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sprechen.
    Dann ging irgendwann die Sonne auf. Wir wussten nicht, wo wir sind, ob das unser oder schon deren Gebiet war. Und wo war die israelische Armee, gab es die überhaupt noch? Ich sah Reifenspuren im Sand und erinnerte mich, dass das israelische Militär nur Schützenpanzer mit Ketten verwendet, aber ich erkannte, dass das Reifenspuren von einem ägyptischen BTR Schützenpanzerwagen aus russischer Fabrikation waren. Ich lief zum Kommandeur und sagte es ihm, und sofort haben wir die Richtung geändert.
    Wir liefen und liefen, bis wir an ein kleines Wadi kamen, da haben wir uns hingesetzt, um auszuruhen. Wir waren todmüde. Auf den Hügeln um uns herum brannten Panzer. Riesige Fackeln. Wir wussten nicht, wem sie gehörten. Überall stank es nach verbranntem Fleisch, du kannst dir das nicht vorstellen, Ora.
    Sie zuckte zurück, doch er klammerte sich weiter an sie. Er ließ sie kaum atmen. Sie hatte den Eindruck, das Kind in ihr pulsierte plötzlich anders, spitzer. Sie fragte sich, ob es wohl etwas von dem, was Ilan erzählte, mitbekam.
    Per Funk sagten sie uns, sie könnten im Moment nicht zu uns durchkommen. Wir sollten noch ein bisschen warten. Wir warteten. Nach ein paar Stunden sollten wir versuchen, auf einen bestimmten Bergrücken zu kommen. Sie sagten uns, welche Codekarte wir benutzen sollten, und wir gingen, bis wir den Bergrücken vor uns sahen. Du musst verstehen, die Ägypter beschossen uns die ganze Zeit, von allen Hügeln, aber sie trafen nicht. Lauter Wunder. Wir liefen, und die Kugeln flogen die ganze Zeit um uns, wie im Kino. Als wir den Hügel erreichten, sahen wir, dass es da von Ägyptern nur so wimmelte. Wir dachten, jetzt ist es aus.
    Ilan, ich krieg so keine Luft …
    Im nächsten Moment stürmten israelische Panzer auf sie zu. Es gab ein Gefecht, da wurde geschossen, und wir sitzen auf unserm Arschund sehn uns das an, wie im Kino. Die Feuer. Brennende Menschen springen aus Panzern. Menschen kommen um, weil sie versuchen, uns zu retten. Und wir sitzen auf unserm Arsch und schauen zu und empfinden nichts. Gar nichts.
    Ilan, du erdrückst mich …
    Sie haben uns über Funk aufgefordert, Signalmunition abzuschießen, damit sie sehen, wo wir sind. Haben wir gemacht, und sie haben es mitbekommen. Ein Panzer kam von dem Bergrücken zu uns runter, das ist ein wahnsinnig steiler Abhang, wie eine Wand. Er kam bis zu uns, das war ein amerikanischer M-60, da steigt ein Offizier aus dem Turm, gibt uns ein Zeichen, schnell ranzukommen, reinzukommen. Wir rufen ihm zu, was solln wir machen? Wie? Und er macht uns ein Zeichen, steigt auf, wir haben keine Zeit! Wir alle?! Aufsteigen! Aufsteigen! Was Aufsteigen? Wo? Jetzt macht schon! Und wir sind dreiunddreißig Mann, flüsterte Ilan in ihren heißen Rücken, Ora, was hast du gesagt?
    Ilan!
    Entschuldige, entschuldige, hab ich dir weh getan?
    Geh jetzt raus, geh endlich raus.
    Noch einen Moment, bitte. Nur einen Moment, ich muss dir noch erzählen …
    Das ist nicht gut, Ilan …
    Hör zu, gib mir noch eine Minute, bitte Ora, mehr nicht. Er redete schnell und trocken: Wir kletterten auf den Panzer, jeder packte irgendwas, die Leute drückten sich an die MGs, zehn drängten sich auf den Turm, ich kletterte von hinten auf, sprang hoch und bekam das Bein von dem über mir zu fassen, ein anderer packte mich an den Schuhen, und der Panzer fuhr los. Er fuhr nicht, er bretterte im Zickzack, um den Sager -Raketen zu entkommen, und wir konnten uns kaum oben halten. Ich dachte die ganze Zeit, nur nicht fallen, nicht fallen.
    Dieses Kind, dachte Ora, was erfährt das alles, schon bevor es auf die Welt kommt?
    Der Panzer springt wie wahnsinnig, murmelte Ilan und umschlang sie wieder wie in einem Krampf, die Knochen brechen, du kriegst kaum Luft, alles Staub, Steine fliegen, du machst einfach alle Löcher zu, nur leben, nur leben.
    Staub drang in ihren Mund, in ihre Nase, gelbe Wüstenstürme. Sie schnappte nach Luft, hustete. Sie hatte den Eindruck, dass auch das Kind in ihr sich zusammenzog und versuchte, sich zu drehen und abzuwenden.
    Genug, genug, ächzte sie. Hör auf, vergifte mir nicht das Kind.
    Das ging ein paar Kilometer so, auf dem Panzer, an ihm klebend. Und plötzlich – war’s vorbei. Wir waren außer Schussweite. Ich konnte das Bein von dem über mir zuerst gar nicht loslassen. Die Hand ging einfach nicht mehr auf.
    Seine Muskeln lockerten sich. Sein Kopf sank auf ihren Nacken, schwer wie ein Stein. Seine Finger lösten sich von ihrem Körper, blieben

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