Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Dritten Tempels herbeisehne. Warum? Was für eine Frage! Weil dann umfassende Erkenntnis herrschen wird, der freie Wille wird aufgehoben sein. Sagen Sie mir doch. Wer will sich schon die ganze Zeit entscheiden und immerzu abwägen müssen? Was haben wir denn von diesem freien Willen? Wenn der Dritte Tempel da ist, wird eine gewaltige Erkenntnis herrschen, die der Messias uns direkt in die Venen spritzen wird. Ein ganz natürlicher Vorgang von » Zieh mich dir nach, so laufen wir« aus dem Hohelied. So eine einfache Liebe.
(Hier fragte mich Schalomi, wonach ich mich denn sehne. Vielleicht hat er mir etwas angesehen, als Eliahu-Chai seinen letzten Satz sagte. Tami, ich habe ihnen von dir erzählt, dass wir all die Jahre geplant haben, diese Wanderung zusammen zu machen, und wie es auf einen Schlag mit allen unsren Träumen vorbei war. Sie reagierten sogar ganz passabel und waren klug genug, mir keine billigen frommen Mantras anzudrehen.)
Danach fragte ich sie, was sie bereuen:
»Was die Reue angeht (Eliahu-Chai): Ich bereue es, meine Kindheit für so viel unnützes Zeug verschwendet zu haben, und ich bereue es sehr, dass ich in einem säkularen Staat aufgewachsen bin, der mir keine weiteren Werte mitgegeben hat als eine grundlegende deutsche Erziehung, so nenne ich das – das Messer in die rechte Hand, die Gabel in die linke –, aber darüber hinaus hat er mir nichts gegeben.
Schalomi: »Nein, das seh ich nicht so! Schreiben Sie das auf: Mir tut es nicht leid, dass ich in einem säkularen Staat groß geworden bin. Wenn ich in einem richtig gottesfürchtigen Staat groß geworden wäre, der ganz nach den religiösen Gesetzen funktioniert, wäre ich vielleicht schon vom Glauben abgefallen … Gut, dass es beides gibt. Beides zusammen ist gut. Der säkulare Staat gibt uns schließlich Adrenalin, wir können uns über ihn aufregen und mit ihm streiten.«
Ich hab mich zusammen mit Schalomi fotografieren lassen (Eliahu-Chai wollte nicht; am Ende des Gesprächs ließ er sich von hinten fotografieren), und wir haben uns verabschiedet.
Etwa alle drei Wochen kam er auf Urlaub, erzählt sie weiter, und sie überfiel ihn schon in der Tür, klammerte sich richtig an ihn, erinnerte sich aber sofort, ihre Brust auf Abstand zu halten, sie spürte seine noch weichen Bartstoppeln an ihren Wangen, ihre Finger zuckten zurück vom Metall der Waffe auf seinem Rücken und suchten dort ein entmilitarisiertesFleckchen, eine Stelle, die nicht dem Militär gehörte, wo sie ihre Hand hinlegen konnte.
Sie schließt die Augen, dankt, wem Dank gebührt – in diesem Moment ist sie sogar bereit, sich mit Gott zu versöhnen –, dass Ofer auch diesmal heil zurückgekommen ist, und sie wird wieder nüchtern, denn er klopft ihr nur dreimal kurz auf den Rücken, wie einem guten Kumpel, er umarmt sie und zeigt ihr mit ebendieser Bewegung die Grenze, tack-tack-tack, aber auch sie hat Erfahrung, übertönt mit ihrem Freudenjubel sofort das Flüstern der Kränkung, lass dich anschaun, braun bist du geworden, du cremst dich nicht genug ein, und wo ist dieser Kratzer her, warum schleppst du diese riesenschwere Tasche, willst du mir erzählen, dass alle mit so einem Rucksack voll nach Hause fahren? Er murmelt etwas, und sie beherrscht sich und erinnert ihn nicht daran, dass er schon zur Schule immer das ganze Haus auf dem Rücken mitgeschleppt hat, wie eine Schildkröte, schon da hätte sie ahnen können, dass er mal zur Panzerbrigade gehen wird.
Langsam nimmt er die Waffe ab, befestigt das Magazin mit einem breiten khakifarbenen Gummi an seinem Galil-Sturmgewehr. In ihren Augen ist er riesengroß. Das Haus ist ihm zu klein. Sein bis auf die Stoppeln rasierter Kopf und die gewölbte Stirn lassen ihn bedrohlich erscheinen, und für den Bruchteil einer Sekunde streckt sie ihm an irgendeinem Checkpoint ergeben ihren Personalausweis hin. Du hast sicher Hunger! jubelt sie aus trockener Kehle, warum hast du nicht Bescheid gesagt, dass du schon mittags kommst, wir haben dich erst am Nachmittag erwartet, du hättest wenigstens von unterwegs anrufen können, dann hätte ich schon ein Steak für dich aufgetaut.
Bis heute hab ich mich nicht daran gewöhnt, dass er wieder Fleisch isst, sagt sie zu Avram. Mit sechzehn ungefähr hat er das plötzlich beschlossen. Den Vegetarismus aufzugeben war für mich irgendwie viel schwerer als für ihn. Verstehst du das?
Was bedeutet Vegetariersein für dich, fragt Avram nach, ist das was Besonderes? Ein Zeichen von
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