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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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blinkten schon überall. Sechs oder sieben Streifenwagen standen hier. Polizisten, Polizeioffiziere und auch Offiziere von der Armee liefen am Straßenrand hin und her, und Ora war schweißgebadet. Ihre Finger kramten aus dem Ausschnitt ihrer Bluse eine dünne Silberkette mit einem Emaille-Anhänger, auf dem die Worte Ich habe den Ewigen immer vor Augen standen, und sanft, beinahe heimlich, brachte sie den Anhänger an die Brust des Jungen und ließ ihn dort einen Moment. Ihre Freundin Ariela hatte ihr den vor Jahren gegeben, jeder braucht eine kleine Kapelle, hatte sie gesagt, als Ora lachte und das Geschenk ablehnte, ihn sich dann schließlich doch umhängte – jedes Mal wenn Ilan ins Ausland flog, als ihr Vater krank wurde und ins Krankenhaus kam und in ähnlichen anderen Situationen, wo er, falls er nichts half, so doch auch nicht schaden konnte –, das ist so ein Aberglaube an Gott, erklärte sie, wenn jemand darüber staunte. Auch die ganze Zeit, als Adam beim Wehrdienst war, hatte sie ihn getragen, und danach bei Ofer, und um sich in alle Richtungen abzusichern und den kleinen Moslem nicht ohne sein Wissen zum Juden zu machen, sagte sie bei sich: Ich habe Allah immer vor Augen.
    Die Polizeiwagen versperrten ihre Spur, Stacheldrahtrollen lagen zickzackförmig über die Straße gezogen. Die Polizisten waren nervös. Sie leuchteten mit einer enorm starken Stablampe in die Autos vor ihnen, schauten lange in die Gesichter der Leute und schrien sich ununterbrochen irgendetwas zu. Ein paar Offiziere standen am Straßenrand, redeten alle mit ihren Handys. Das ist mehr als sonst, dachte Ora, normalerweise sind sie nicht so im Stress. Nur ein Auto war noch vor ihnen, und Ora beugte sich vor und fragte eindringlich, Sami, ich will jetzt wissen, wer der Junge ist.
    Sami starrte vor sich hin, seufzte. Einfach bloß ein Kind, wirklich, sagte er, der Sohn von einem Anstreicher, der bei mir arbeitet, aus den besetzten Gebieten, was soll ich machen, einer, der sich hier »illegal aufhält«, wie man so sagt. Ja, ein Illegaler. Seit gestern Abend ist er so. Er war die ganze Nacht krank und morgens auch, er spuckt immerzu und hat auch Blut … auf dem Klo, meine ich. Und ihr habt euch nicht drum gekümmert, fragte Ora. Doch, natürlich, wir haben die Krankenschwester gerufen, eine von unseren, aus dem Dorf, und die hat gesagt, für seine Krankheit muss er schnell ins Krankenhaus, aber wie soll ich ihn ins Krankenhaus bringen, wenn er doch illegal ist? Seine Stimme verlosch, wieder stritt er murmelnd mit sich selbst, vielleicht rekonstruierte er ein Gespräch oder einen Streit, und schlug mit der Faust aufs Steuer. Beruhige dich, sagte Ora scharf, richtete sich auf undbrachte mit der freien Hand ihre wirren Haare ein bisschen in Ordnung, jetzt beruhige dich, das klappt schon. Und lächeln musst du.
    Ein junger Polizist, fast selbst noch ein Kind, kam zu ihnen und wurde unsichtbar, als der Strahl der Lampe sie traf. Sie blinzelte vor Schmerz, so ein Licht quälte ihre ohnehin elende Netzhaut. Sie schickte ein allgemeines breites Lächeln in Richtung des Lichts. Der Polizist machte mit der anderen Hand schnelle Kreisbewegungen, und Sami ließ die Scheibe herunter. Alles in Ordnung? fragte der Polizist mit russischem Akzent, schob seine Hand mit der Lampe in den Wagen und musterte die Gesichter der anderen, und Sami sagte, mit der angenehm festen Stimme eines Alteingesessenen, Guten Abend, alles prima, gelobt sei Gott. Der Polizist fragte: Wo kommen Sie gerade her? Aus Bejt Zajit, sagte Ora lächelnd. Wo ist Bejt Zajit, fragte der Polizist, und Ora sagte, kurz vor Jerusalem. Auch ohne Sami anzuschauen, spürte sie, wie das Staunen über die Unwissenheit des Polizisten wie ein Funke zwischen ihr und ihm hin und her hüpfte.
    Kurz vor Jerusalem, wiederholte der Polizist, vielleicht um noch etwas länger ableuchten und suchen zu können. Und wohin geht die Fahrt? fragte er. Nach Tel Aviv, antwortete Ora lächelnd, ein Familienbesuch, fügte sie ungefragt hinzu. Kofferraum, sagte der Polizist und zog sich aus dem Innern des Wagens zurück. Er ging zum Kofferraum, und sie hörten, wie er da die Sachen umdrehte und die beiden Rucksäcke hochhob. Ora sah, wie Samis Schultern sich verkrampften, da kam ihr der Gedanke, wer weiß, was er dahinten sonst noch transportiert. Ein Feuerwerk von Gedanken explodierte in ihrem Hirn, ein verrückt gewordener Kinofilm lief dort ab. Ihre Augen musterten spionierend und schnell Samis Körper, sammelten

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