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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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sich an, wie wenn man nach einem großen Familienstreit gemeinsam aufräumt. »Eine von uns«, sagte Sami, das heißt, »obwohl du aussiehst wie eine Linke.«

    Der Junge entspannte sich ein bisschen, schlief nicht mehr so unruhig. Ora legte seinen Kopf auf ihre Beine. Sie lehnte sich zurück und atmete langsam. Vielleicht der erste ruhige Moment an diesem Tag.
    Und weil Sami für sie auch immer eine Art ferne Dependance von Ilan und in letzter Zeit auch ein Bindeglied zu ihm war, erwachte in ihr die Sehnsucht nach einem Zuhause; nicht nach dem Haus, das sie nach der Trennung in Bejt Zajit gemietet hatte, auch nicht nach dem Haus in Zur Hadassa, das sie zusammen mit Ilan von Avram gekauft hatte. Schmerzvoll war ihre Sehnsucht nach ihrem letzten Haus zusammenmit Ilan in Ejn Karem, einem geräumigen zweistöckigen alten Haus zwischen buschigen Zypressen mit dicken, kühlen Wänden, großen Bogenfenstern, breiten Fensterbänken und bemalten Bodenfliesen, von denen einige locker waren. Das Haus hatte Ora zum ersten Mal als Studentin gesehen, leer und verschlossen stand es da, und sie hatte sich auf den ersten Blick verliebt und sich, ermutigt von Avram, hingesetzt und ihm einen Liebesbrief geschrieben: »Mein liebes dunkles und einsames Haus«, und ihm dann von sich erzählt und ihm erklärt, wie gut sie im Grunde zusammenpassen würden, und hatte ihm versprochen, es fröhlich zu machen. Sie hatte auch ein Foto von sich beigelegt, im orangefarbenen Trainingsanzug, mit langen kupfernen Locken, rückhaltlos lachend an ein Fahrrad gelehnt, und sie hatte den Brief an seine Adresse geschickt und einen Zettel für die Hausbesitzer angeklebt, falls sie es jemals verkaufen wollten – und so war es gekommen.
    Seitdem hatten Ilan und sie sich etabliert und waren im Laufe der vielen Jahre sogar wohlhabend geworden – Ilans Büro gedieh prächtig; seine gewagte Rechnung von vor etwa zwanzig Jahren, das Büro, in dem er angestellt war, zu verlassen und sich ganz auf das leicht esoterische Gebiet des Urheberrechts zu spezialisieren, war erstaunlich gut aufgegangen. Ab Mitte der achtziger Jahre war die Zahl der zu schützenden Ideen, Patente und Erfindungen enorm angewachsen, Wissen, schnelles Handeln in Bezug auf die Gesetzgebung und das Ausnutzen von Gesetzeslücken in den verschiedenen Ländern der Welt waren gefragt, neue Computeranwendungen, Erfindungen auf dem Gebiet der Kommunikation und Datenverschlüsselung, der Medizin und der Gentechnologie, jede Menge von Konventionen und Abkommen der Welthandelsorganisation: Ilan war den andern dort eine Nasenlänge voraus gewesen – und obwohl sie es sich leisten konnten zu renovieren, zu verschönern, anzubauen und ihr Haus in jedem Stil, den sie nur mochten, zu gestalten, hatte Ilan sie das Haus nach ihren Vorstellungen großziehen und domestizieren lassen. Sie erlaubte dem Haus, in seinem eigenen Tempo zu leben, es selbst zu sein, zu seinem eigenen Behagen die verschiedensten Stile in sich aufzunehmen. Einige Jahre hatte in der Küche ein riesiger Kühlschrank mit Glastür gestanden, hässlich anzusehen, aber sehr nützlich, den sie beim Räumungsverkaufeines Händlers für Supermarkteinrichtungen erstanden hatte; die Stühle für die Essecke hatte sie dem Café Tmol Shilshom günstig abgekauft, nachdem Adam einmal beiläufig bemerkt hatte, er fände sie so bequem; das dunkle Gästezimmer war ein einziger Lagerplatz voll dicker Teppiche und riesiger Kissen mit leichten Bambusmöbeln und drei Wänden voller Bücherregale; und den riesigen Esstisch, der ganze Stolz der Gastgeberin, an dem fünfzehn Leute Platz fanden und essen konnten, ohne mit den Ellbogen aneinanderzustoßen, hatte Ofer ihr zu ihrem achtundvierzigsten Geburtstag geschmiedet und getischlert, er war rund – dass er rund sein müsse, hatte Ofer beschlossen, dann würde nie jemand an der Ecke sitzen, hatte er ihr erklärt. Das Haus wiederum hatte mit feinem Gespür Oras Stimmungen registriert und war darauf eingegangen, hatte vorsichtig und zögernd seine alte Dunkelheit abgelegt, die starren Glieder gestreckt, und als es merkte, dass Ora ihm erlaubte, hier und da eine heimliche Schmuddelecke oder einen angenehm dämmrigen Winkel und sogar Stellen gesunder Verwahrlosung zu entwickeln, begann es gemütlich auszufransen, bis es in bestimmten Lichtkonstellationen schon beinahe glücklich wirkte. Ora spürte, dass auch Ilan sich in diesem Haus und in dem studentischen Durcheinander, das sie in ihm verbreitete, wohl

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