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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Grossman
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Spitzen und ein fester durchsichtiger Ball, in dem ein winziger Dinosaurier funkelte. Jasdi hatte Durst, seine Zunge bewegte sich ruhelos in seinem Mund. Die Wasserflasche war leer, aber Sami hatte Angst, an einem Kiosk zu halten und Wasser zu kaufen. Ein Araber an einem Kiosk an so einem Tag, das ist keine gute Idee, erklärte er trocken. Danach begann Jasdi, vielleicht wegen Samis nervöser Fahrweise, vielleicht auch wegen der gewundenen Gassen Jaffas, zu spucken.
    Ora spürte die Anfälle zuerst in seinem Körper, unter den Rippen, die sich krampfartig hoben und senkten, und sie sagte Sami, er solle anhalten, und Sami schimpfte, hier könne man nicht halten. Auf dem Gehweg gegenüber stand ein Streifenwagen. Doch als er das nächste krampfhafte Röcheln von hinten hörte, gab er Gas, überfuhr rote Ampeln, suchte wohl ein dunkles Eckchen, einen abgelegenen Platz, und schrie auf Arabisch zu Jasdi, er solle sich noch zusammenreißen, er solle an sich halten, und er drohte ihm und verfluchte ihn und seinen Vater und den Vater seines Vaters. Ein Strahl Erbrochenes schoss aus dem Mund des Jungen. Sami schrie noch, nicht auf die Polster, dreh seinen Kopf zum Boden, doch Jasdis Kopf wurde in alle Richtungen geworfen, wie ein Luftballon, aus dem die Luft hinausschnurrt, undOra war über und über vollgespritzt, ihre Beine, die Hose, die Schuhe, das Haar.
    Samis rechte Hand schoss nach hinten, tastete, berührte und zuckte angewidert zurück. Gib mir seine Hand, naschi , Frau, schrie er mit dünner Stimme, leg mir seine Hand hierhin! Sie gehorchte mechanisch der Panik in seiner Stimme – irgendwo hoffte sie, er kenne vielleicht einen palästinensischen Schamanentrick zur sofortigen Heilung –, nahm Jasdis schlaffe Hand und legte sie auf die Plastiklehne aus Holzimitat zwischen den beiden vorderen Sitzen, und Sami schlug, ohne auch nur hinzusehen, einmal fest drauf, wie ein Schmiedehammer. Ora schrie, als hätte sie selbst den Schlag abgekriegt, und streckte die Hand aus, um Jasdis Hand wegzuziehen, und Sami schlug noch einmal zu, ohne es zu merken, auf ihren Arm.
    Ein paar Minuten später erreichten sie die Schule. Sie hielten vor dem verschlossenen Tor, und ein bärtiger junger Mann, der wohl dahinter gewartet hatte, trat hervor, schaute sich in alle Richtungen um und gab Sami ein Zeichen, außen am Zaun entlangzugehen. So gingen sie, zwischen sich den Zaun. An einer dunklen Ecke des Zauns schob der junge Mann einen Balken weg und kam zu Sami heraus, beide unterhielten sich eilig flüsternd und blickten sich immer wieder um. Ora stieg aus dem Wagen und atmete die feuchte Nachtluft ein. Ihr linker Oberarm brannte, sie wusste, der Schmerz würde bald noch schlimmer werden. Im Licht der Straßenlaterne sah sie die Flecken des Erbrochenen auf sich, schüttelte sich vorsichtig, und ihre Glieder wichen angeekelt vor ihren Kleidern zurück. Der Bärtige legte die Hand auf Samis Schulter und begleitete ihn zum Auto. Sie schauten auf Jasdi, der drinnen lag, und Sami musterte mit traurigem Blick seine Sitzbezüge. Beide beachteten Ora nicht. Der Jüngere ließ mit dem Handy irgendein Tonzeichen los, da kamen drei Jugendliche aus der dunklen Schule angelaufen. Keiner sprach ein Wort. Die drei zogen Jasdi aus dem Wagen und trugen ihn schnell durch ein Nebentor hinein. Einer hielt ihn an den Schultern, die anderen an den Beinen. Ora dachte sich, das ist nicht das erste Mal, dass sie jemanden so tragen. Jasdis Kopf und seine Arme baumelten herunter, er hatte die Augen geschlossen, und aus irgendeinem Grund hatte sie den Eindruck, dass dies auch für ihn nicht das erste Mal war.
    Als sie ihnen folgen wollte, wandte sich der bärtige junge Mann sofort zu ihr und schaute danach zu Sami. Sami ging auf sie zu und sagte: Vielleicht ist es besser, wenn du hierbleibst.
    Ora warf ihm einen Blick zu, der ihn erstarren ließ. Er gab sich geschlagen, ging wieder zu dem Bärtigen und flüsterte ihm etwas zu. Vermutlich sagte er ihm, das gehe schon in Ordnung, vielleicht sagte er sogar, die ist eine von uns.
    In dem dunklen Schulhaus herrschte absolute Stille; nur der Mond und die Laternen leuchteten von draußen herein. Sami und der Bärtige verschwanden in einem der Zimmer. Ora blieb stehen und wartete. Als ihre Augen sich ein bisschen gewöhnt hatten, sah sie, dass sie in einer nicht sehr großen Eingangshalle stand, von der mehrere Flure abgingen. Hier und da erkannte sie kahle Blumentöpfe, an den Wänden halb abgerissene Aufrufe, ruhig zu

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