Eine Frau für Caracas
er spürte das rasche Pulsen der Schlagader: »Als ich den Hörer abnahm«, sagte sie leise und kraftlos, »da habe ich fast geahnt, von wem der Anruf kommen würde...«
» Wußtest du denn, daß er bereits frei ist?«
»Ja«, nickte sie, »ich rief gestern die Gefängnisverwaltung an und erfuhr, daß er vor drei Tagen entlassen worden sei...«
»Weshalb hast du es mir nicht gleich erzählt?« fragte er mit zärtlichem Vorwurf.
»Versteh mich doch, Werner, ich wollte dich mit dieser Geschichte nicht behelligen. Es bedrückt mich und quält mich genug, daß ich diese Vergangenheit nicht loswerde und ewig mit mir herumschleppen muß.«
»Mach dir darüber keine Gedanken, mein Liebling«, sagte er und streichelte ihre Schultern, »wenn wir beide erst drüben sind, liegt alles, was einmal war und was dich bedrückt, so fern, als ob es überhaupt nie geschehen sei.«
»Weshalb bist du mir nicht früher begegnet...?« flüsterte sie mit erstickter Stimme und verbarg das Gesicht in den Händen.
Er zog sie zu sich empor und küßte ihre Augen: »Ich finde, daß ich dir genau im richtigen Moment begegnet bin! — Und jetzt mach dich für mich schön und laß uns gehen, es wird höchste Zeit, daß wir auf andere Gedanken kommen. Ich habe im >Königshof< für uns einen Fensterplatz bestellt.«
Sie trocknete sich die Augen und ließ ihn für ein paar Minuten allein, um ihre Frisur zu ordnen und ihr Make-up aufzufrischen. Sie konnten den Wagen vor dem Hotel abstellen, der Oberkellner führte sie zu dem reservierten Platz, und Werner bemerkte geschmeichelt, daß an vielen Tischen die Gespräche für einen Augenblick verstummten. Es kitzelte seine Eitelkeit, daß auch in diesem Rahmen, in dem sich Dutzende von jungen, schönen und eleganten Frauen bewegten, Anita Aufmerksamkeit erregte. Selbst der Oberkellner machte ein Gesicht, nachdem er einen flüchtigen Blick auf die unberingten Hände geworfen hatte, als müsse er ihm zu dieser Eroberung gratulieren, und er bediente Anita mit besonderer Höflichkeit. Werner war bezaubert, bezaubert von Anitas Gegenwart, vom Blick auf den Stachus, von der angestrahlten Kulisse des Karlstors und dem Halbrund der noblen Gebäude, die sich rechts und links anschlossen, bezaubert von dem zuckenden Farbenspiel der Lichtreklamen und von dem blitzenden Strom der Fahrzeuge, die unaufhörlich heranglitten , sich stauten, sich wieder in Bewegung setzten, in einem ewigen Wechsel von Licht und Farben...
Aber Anita war bedrückt, und es gelang ihm nicht, sie aufzuheitern. Er spürte ihr Bemühen, es sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr der Anruf Severins sie verstört hatte.
»War es falsch von mir, daß ich mich in das Gespräch eingemischt habe?« fragte er schließlich.
Sie schüttelte den Kopf: »Nein, ganz gewiß nicht, ich war dir dankbar dafür...«
»Was sagte er, als du dich meldetest?«
»Er sagte, daß er mich sprechen müsse...«
»Vielleicht sollte man ihm wirklich eine Gelegenheit dazu geben«, meinte er, »in meiner Gegenwart!«
»Ich will ihn nicht mehr sehen!« sagte sie heftig, »ich will ihn nie wieder sehen!«
»Das verstehe ich. Aber vielleicht braucht er eine gründlichere Lektion als drei Sätze am Telefon, damit er wirklich begreift, daß zwischen euch beiden alles zu Ende ist. Ich keime den Mann nicht und er ist mir auch völlig gleichgültig. Aber ich könnte mir vorstellen, daß ein Mensch, der drei Jahre lang Zeit hatte, über sein Leben und über seine Beziehungen zu dir nachzudenken, zu der Einsicht gelangt, daß er einiges falsch gemacht hat. Ich kann mir das um so eher vorstellen, als anzunehmen ist, daß er in drei Jahren Zeit genug hatte, sehr nüchtern zu werden...«
»Willst du ihn etwa entschuldigen oder gar verteidigen?«
»Natürlich nicht! Ich bemühe mich nur, einen Weg zu finden, um ihn dir endgültig und radikal vom Halse zu schaffen. Und deshalb versuche ich, mich in seine Lage zu versetzen. Drei Jahre Gefängnis... Ich würde wahrscheinlich verrückt werden...«
»Er war nie normal! In dem Prozeß versuchte sein Verteidiger, ihn durch das Gutachten eines Psychiaters in eine Pflegeanstalt für Geisteskranke einweisen zu lassen... Er kam damit nicht durch. Man billigte ihm gewisse schizoide Zustände zu, aber das genügte nicht, um ihn vor dem Gefängnis zu bewahren...«
»Ich bin kein Psychiater, aber ich kann mir vorstellen, daß er sich in hundert und aber hundert Gesprächen ohne Partner in Träume, Illusionen und Wünsche verstrickt hat,
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