Eine Frau für Caracas
in denen ihm seine Phantasie Bilder von einem neuen Anfang und von einem neuen Leben mit dir vorgespielt hat. Denn einmal habt ihr euch doch geliebt. Ich sage das nicht, weil ich eifersüchtig bin...«
»Geliebt...? Ich weiß es nicht einmal. Ich war sehr jung. Und er sah sehr gut aus. Er war ein Mann, auf den alle Frauen flogen. Und es schmeichelte meiner Eitelkeit, daß er sich für mich interessierte. Erst später erfuhr ich, daß er sich nicht für mich, sondern für die Eyssing-Tochter interessiert hatte, du verstehst...«
»Natürlich...«
»Denn er steckte bis über den Hals in Schulden!«
»War das der Grund, weshalb ihn dein Vater ‘ rauswarf ?«
»Ich weiß es nicht, aber es ist durchaus möglich. Bei den Verbindungen, die mein Vater hat, genügte wahrscheinlich ein Anruf nach München, um über die Verhältnisse dieses Menschen genaue Informationen zu erhalten.« — Sie preßte die Fingerspitzen gegen die schmerzenden Schläfen: »Sei mir bitte nicht böse, Werner, aber ich bin am Rand meiner Kräfte. Der Kopf schmerzt mich zum Zerspringen. Ich habe jetzt nur noch einen Wunsch, zwei Schlaftabletten zu schlucken und zehn Stunden lang nichts mehr zu sehen und nichts mehr zu hören. Bitte, bring mich heim und verzeih mir, daß ich dir diesen Abend so verpatzt habe...«
Er nahm ihre Hand und führte sie an die Lippen: »Mach dir darum keine Gedanken, mein Liebling. Dieser Kerl geht mir selber auf die Nerven. Morgen bin ich auf dem Standesamt und bestelle unser Aufgebot. Du hast doch alle notwendigen Papiere beisammen, nicht wahr?«
»Ich hoffe es...«
»Und in zehn Tagen bist du meine Frau!«
»Am liebsten wäre es mir, wenn du mich noch heute von hier fortnähmst...!« sagte sie und schloß die Augen.
»Gut, wenn ich höre, daß es Schwierigkeiten gibt, fliegen wir mit dem nächsten Flugzeug nach Caracas. Bist du damit einverstanden?«
Sie nickte stumm. Er winkte den Oberkellner heran, beglich die Rechnung und verließ mit Anita das Restaurant. Sie hängte sich in seinen Arm, als bedürfe sie wirklich einer Stütze, um sicher bis zum Wagen zu kommen. Daheim angekommen, begleitete er sie bis in die Wohnung hinauf, denn er bemerkte, daß sie in die Winkel des Treppenhauses hineinschaute wie ein Kind, das sich vor Gespenstern fürchtet. Vielleicht befürchtete sie wirklich, Severin könne ihr aus einer Tür oder einer Nische entgegentreten.
»Schlaf gut, Liebste«, sagte er zärtlich, »morgen sieht alles wieder anders aus. Jetzt hast du mich und brauchst dich nicht mehr zu fürchten.«
»Ich danke dir, Werner...«, sie drängte sich noch einmal an ihn, als hoffe sie, daß etwas von seiner Wärme und Kraft auf sie überströme, »du bist so lieb und hast so viel Geduld mit mir. Glaub mir, ich werde ein ganz anderer Mensch sein, wenn ich erst von hier fort bin...«
Werner zog die Haustür hinter sich zu und ging schräg über den Fahrdamm zu seinem Wagen. Es war kurz vor zehn, die Straße lag im hellen Licht der Bogenlampen, aber sie war nicht sehr belebt, denn es regnete leicht und ein böiger Wind fegte über die Dächer. In dem Augenblick, in dem er den Wagen aufschließen wollte, trat aus dem Schatten der nächsten Haustür jemand auf ihn zu. In der Meinung, der andere wolle ihn um Feuer für eine Zigarette bitten, griff er schon in die Tasche, aber zugleich bemerkte er, daß der andere mit einer leichten Verbeugung den Hut lüftete, und hörte die Stimme, die er vor zwei Stunden bereits am Telefon vernommen hatte.
»Verzeihen Sie, Sie sind Herr Gisevius — wenn ich Ihren Namen recht verstanden habe... Ich heiße Severin. Darf ich Sie für ein paar Minuten sprechen?«
Merkwürdigerweise war Werner nicht einmal überrascht. Er hatte das Gefühl, es träte ein Ereignis ein, das er seit Tagen erwartet hatte. Und am seltsamsten war, daß er schon wußte, bevor er den Kopf hob, wie der Mann aussehen würde, dem diese geschulte und angenehme Stimme gehörte. Die breite Stirn war schon ein wenig hoch, aber das dunkle Haar glänzte gepflegt und lag glatt und scheitellos an den Schädel gebürstet. Der Mann sah auffallend gut aus. In dem scharfgeschnittenen Gesicht liefen zwei tiefe Kerben von den Nasenflügeln zum Kinn herab. Es war ein trockenes, mageres Gesicht. Wenn Severin je getrunken hatte, so sah man ihm nichts mehr davon an. Von hundert Leuten, denen man die Aufgabe gestellt hätte, zu erraten, was dieser Mann von Beruf sei, hätten hundert ohne zu zögern Schauspieler gesagt. Er trug
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