Eine Frau für Caracas
kennengelernt?«
Werner steckte den Zündschlüssel ein, zog den Startknopf und ließ den Motor anspringen.
»Ich weiß nicht, was Sie mit Ihrer Frage bezwecken«, sagte er, ‘ über die Hartnäckigkeit dieses Menschen ergrimmt, »aber wenn Sie es durchaus wissen wollen — ich hatte die Absicht, mich den Eltern Anitas vorzustellen. Aber sie halten sich zur Zeit auf ärztliche Empfehlung für vier oder sechs Wochen in Ägypten auf. Und jetzt möchte ich Sie dringend bitten, zur Seite zu gehen! Ich will fahren.«
»In Ägypten zur Erholung...«, sagte Severin mit einem kleinen Schnalzlaut des Erstaunens, »wie merkwürdig, daß ich darüber ganz anders unterrichtet bin. Herr Dr. Eyssing befindet sich in Frankfurt. Sie können sich jederzeit durch einen Anruf bestätigen lassen, daß das, was ich behaupte, die Wahrheit ist. In Frankfurt oder in Höchst. Rufen Sie an! Oder noch besser: fahren Sie selber hin! Sie werden von Dr. Eyssing empfangen werden! Und wenn Sie von Frankfurt zurückkommen, werden Sie den dringenden Wunsch haben, mich wiederzusehen. Merken Sie sich meine Adresse! Gasthof >Zum Thurmbräu <. Es ist eine kleine Wirtschaft am Viktualienmarkt. Jede Gemüsefrau sagt Ihnen, wo Sie das Lokal finden. Gute Nacht!«
Er trat rasch zur Seite, warf den Schlag zu und hob zwei Finger zum Gruß an den Hutrand. Werner schaltete mechanisch die, Scheinwerfer und die Scheibenwischer ein und schlug das Lenkrad scharf links ein, um aus der schmalen Parklücke herauszukommen. Er fuhr dreißig oder vierzig Meter weit an einer Reihe von parkenden Autos vorbei und trat plötzlich auf die Bremse, kurbelte das Seitenfenster herunter und blickte zurück, aber Severin war bereits um die nächste Straßenecke verschwunden. Er wendete den Wagen und brauchte, um nicht zurückstoßen zu müssen, den Bürgersteig der anderen Straßenseite zu seinem Manöver und kurvte nach kurzer Fahrt links ein, wo er Severin sehen zu müssen glaubte. Aber auch hier konnte er unter den wenigen Passanten, die mit ihren Schirmen gegen den Wind ankämpften, den hellen Trenchcoat nicht mehr entdecken. Er fuhr einmal um den ganzen Häuserblock herum, suchte auch noch ein paar Nebenstraßen ab, immer mit Severins letzten Worten im Ohr: Dr. Eyssing ist in Frankfurt... rufen Sie ihn an... fahren Sie selber hin... und wenn Sie von Frankfurt zurückkommen, werden Sie den dringenden Wunsch haben, wieder mit mir zu sprechen... Thurmbräu am Viktualienmarkt...
Was hatte das zu bedeuten?
Worauf spielte der Kerl damit an?
Und was wiederum hatte Severin veranlaßt, ihn zu fragen, ob Anita ihn ihren Eltern vorgestellt habe?
Merkwürdig — aber die ganze Vorgeschichte und Geschichte dieser Entfremdung hatte ihm nie recht behagt. So etwas mochte Vorkommen... Aber rein gefühlsmäßig war da ein falscher Ton drin. Dieser väterliche Zorn paßte einfach nicht in diese Zeit, er roch staubig nach Sudermann und Jahrhundertwende... Hebe dich aus meinen Augen, verruchtes, mißratenes Geschöpf! Ich sage mich von dir los! Ich bin fürderhin nicht mehr dein Vater!
Aber wenn es diese schauerliche Szene wirklich gegeben haben sollte, konnte dann der Freiheitsdrang eines allzu behüteten Mädchens die Ursache für solch ein Melodram sein? Mußten da nicht ganz andere und vielleicht sogar recht böse Dinge dahinterstecken, die Anita ihm verschwiegen hatte? Er erinnerte sich ihrer Erzählung, daß ihr Vater plötzlich das gesamte Personal gewechselt hatte — und sie erschien ihm plötzlich in einem neuen, sehr düsteren Licht...
Oder sollte man alles, was Severin gesagt hatte, einfach als Verrücktheit abtun? Gefängnispsychose... Phantasiegespinste eines Irren oder irr gewordenen Menschen...
Aber der Mann hatte auf ihn einen durchaus vernünftigen und ruhigen Eindruck gemacht. Eigentlich einen vorzüglichen Eindruck, einen so günstigen Eindruck, daß man sich kaum vorstellen konnte, er sei früher ein delirierender Säufer gewesen. Gewiß durfte man nicht übersehen, daß Severin Schauspieler war, also befähigt, in Rollen zu schlüpfen, sein eigentliches Wesen abzustreifen, sich zu produzieren und irgend etwas darzustellen, was er in der jeweiligen Situation zu irgendeinem unbekannten Zweck vorzuführen wünschte. Aber was bewog ihn eigentlich, ihm in einer höflichen Maske gegenüberzutreten und ihm dieses Rätsel aufzugeben? War es die Absicht, sich zwischen ihn und Anita zu drängen? Ihn unsicher zu machen? Verwirrung zu stiften oder — halt! — ihn für ein
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