Eine Frau für Caracas
seinetwegen angeschafft hatte. Im Wandschrank oben rechts fand er die Gläser, schenkte sich ein, zündete sich eine Zigarette an, setzte sich auf den Küchentisch und ließ die Beine baumeln.
Woher hatte Severin gewußt, daß Doktor Eyssing in Frankfurt sei? Das war schon merkwürdig genug. Das sah ganz so aus, als stände er mit seinem ehemaligen Schwiegervater noch in irgendeiner Verbindung... Aber noch merkwürdiger und völlig rätselhaft blieb, wie er darauf gekommen war, ihn zu fragen, ob Anita ihn ihren Eltern vorgestellt habe. Es war fast ein wenig unheimlich. Es war, als wäre er unsichtbar bei seinem Gespräch mit Anita zugegen gewesen... Eine Unmöglichkeit! Aber trotzdem, was hatte ihn gerade zu dieser Frage veranlaßt?
Er schenkte sich zum zweiten- und drittenmal ein und war gerade dabei, das Glas zum viertenmal zu füllen, als sich die Tür geräuschlos öffnete und Christine einen Augenblick auf der Schwelle stehen blieb und ins Haus hineinhorchte, ob sich nichts rührte. Sie trug ein dunkles Dirndlgewand mit einer changierenden Taftschürze und einem rüschenbesetzten tiefen Ausschnitt, bei dem ein Stoß aus spitzenbesetztem Batist allerdings jeden Einblick züchtig verwehrte.
»Ich dachte, daß Sie vielleicht noch etwas essen wollen, Herr Gisevius...«, murmelte sie und starrte leicht verstört auf die fast leere Flasche.
»Nett von Ihnen, daß Sie doch noch gekommen sind, Christine!« sagte er und schwang sich vom Tisch, um ein Glas für sie aus dem Schrank zu holen. Sie beobachtete ihn heimlich, aber er ging kerzengerade, und seine Hand war ruhig wie immer, als er ihr einen kleinen Schluck eingoß . »Bitte nicht, Herr Gisevius...«, wehrte sie ab, »ich bin wirklich nur heruntergekommen, weil ich Ihnen noch ein Salamibrot oder eine Dose Ölsardinen vorsetzen wollte.«
»Nur nichts essen!« sagte er mit einem Schauder des Ekels, »ich habe heute etwas im Hals... da geht nichts Festes durch . . M Kommen Sie, Christine, setzen Sie sich doch... Und sagen Sie endlich Prosit... Sie wissen doch: Gott gab uns ein Wort zum Trost — Prost!«
Sie nippte an ihrem Glas und beobachtete ihn heimlich. Irgend etwas an ihm war nicht in Ordnung. Mit einem Mann, der in einer Viertelstunde eine halbe Flasche Schnaps trank, konnte etwas nicht in Ordnung sein...
»Fehlt Ihnen etwas, Herr Gisevius?«
»Wie kommen Sie darauf, Christine? Sehe ich so aus, als ob mir etwas fehlt?«
»Sie können sagen, was Sie wollen, Herr Gisevius, aber Sie sahen besser aus, als Sie hier ankamen. Wenn Sie so weitermachen/ ist das wohl nicht der richtige Erholungsurlaub...«
»Wie weitermachen?«
Sie hob das runde Kinn und warf einen sprechenden Blick auf die Flasche, die er in der Hand hielt, um sich das fünfte Glas einzuschenken: »Wenn Sie das jede Nacht so getrieben haben...!«
»Sie irren sich, Christine, die Gläser, die ich in den letzten zehn Tagen getrunken habe, kann ich an den Fingern einer Hand abzählen.«
»Es geht mich ja auch nichts an...«, murmelte sie achselzuckend.
»Aber es ist so, wie ich es Ihnen sage!«
»Ich glaube Ihnen schon, trotzdem finde ich, daß Sie sich verändert haben — und nicht zum Besseren...«
»Ach, Christine, es gibt da so einige Problemchen, die mir Kummer machen. Aber lassen wir das. Trinken wir lieber noch eins!« Er setzte das Glas an und kippte es mit einem durstigen Zuge in die Kehle. Sein Blick begann ein wenig zu schwimmen, und er sah Christine an, als sähe er sie bereits doppelt und als stände er vor der schwierigen Aufgabe, sich zu entscheiden, wer Christine und wer ihre Doppelgängerin sei.
»Sorgen soll man überschlafen, Herr Gisevius. Meistens ist im Morgenlicht nur noch grau, was einem am Abend schwarz erscheint.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr, Christine...«, murmelte er und starrte tiefsinnig in sein leeres Glas, »aber ich fürchte, ich fürchte... Das sind dunkle Geheimnisse. Aber ich werde sie lösen! Jawohl, ich werde dahinter kommen! Morgen... «
Seine Stimme war nicht mehr ganz deutlich, und Christine warf einen besorgten Blick auf die Küchenuhr; sie ging auf eins.
»Wenn Sie morgen früh aufstehen wollen, dann wird es aber Zeit für Sie, Herr Gisevius.«
»Bleiben Sie noch ein Weilchen, Christine«, bat er und schob ihr die Flasche hinüber, in der ein winziger Rest kaum noch den Boden bedeckte, »heute brauche ich eine Seelenstärkung und einen Menschen, mit dem man vernünftig reden kann.«
»Und dazu suchen Sie sich ausgerechnet mich aus?« sagte
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