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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Christine und schob die Flasche aus seiner Reichweite. »Ich fürchte, ich werde Ihnen wenig helfen können.«
    »Nein, Christinchen, du kannst mir nicht helfen, und du sollst mir auch nicht helfen«, sagte er mit schwerer Zunge und schüttelte den Kopf, »damit muß ich ganz allein fertig werden. Aber es ist schön, daß du da bist. Denn du hast etwas an dir, was wie Taube ist, ohne Falsch, wie die Tauben unter dem Himmel und wie die Lilien auf dem Felde. Eine Taube unter dem Himmel mit einer Lilie im Schnabel. Kannst du singen, Christinchen? Kennst du ein Lied, wo eine Taube... Ich hab’s, Christinchen! La Paloma...«
    »Um Himmels willen, Herr Gisevius! Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?!« flüsterte sie entsetzt, als er beginnen wollte, das Lied von der weißen Taube anzustimmen, »Sie wecken ja das ganze Haus auf! Wenn Frau Dyrenhoff mich hier bei Ihnen entdeckt...«
    »Keine Angst, Christinchen, einen nehmen wir noch! Und wenn meine Schwetzer kommt, meine Schwester meine ich, dann sage ich ihr ganz einfach, mein liebes Kind, sage ich, wenn du jetzt ein einziges krummes Wort sagst, dann ist deine Christine meine Christine und warum? Weil ich deine Christine nach Caracas mitnehme! Weil ich verdammt noch mal Kalbsbraten mit Gurkensalat essen möchte und überhaupt leben wie ein Mensch. Nichts gegen Rosario! Aber ganz unter uns, Christinchen, sie ist eine furchtbare Schlampe... eine gute Köchin, ein bißchen scharf, das macht der Chilepfeffer... aber eine grauenhafte Schlampe! Immer läuft der Aschbecher über und die Seifenränder in der Badewanne... Prösterchen, Christine, darauf nehmen wir noch einen!«
    »Prösterchen, Herr Gisevius«, flüsterte Christine und goß den Rest ihrer Glases in den Ausguß und horchte mit einem Ohr ins Haus, »aber jetzt langt es mir wirklich... Und Sie dürften auch genug haben... und außerdem ist die Flasche leer!«
    »Dann kaufen wir uns eben eine neue!«
    »Morgen, Herr Gisevius, morgen! Gleich in der Früh hole ich eine neue Flasche!«
    »Zwei Flaschen, Christinchen!«
    »Drei, Herr Gisevius...!«
    »Sehr gut, drei oder vier, eine ganze Batterie! Es hat mir nämlich ein Mensch Gift in den Wermut geträufelt, und das frißt mir ein Loch in die Seele... Meine Seele ist ganz zerlöchert, Christinchen, ganz zerlöchert. Hast du schon einmal einen Menschen mit einer zerlöcherten Seele gesehen? Das bin ich! Ein zerlöcherter Mensch. Vom Gift des Zweifels angenagt... Sehr zum Wohle!«
    »Sie haben ja gar nichts mehr im Glas!« flüsterte sie händeringend.
    »Doch, noch ein winziges Tröpfchen, und ich bin auch ein Tröpfchen... oder bin ich sogar ein Tropf... ein schlichter, aufrechter Mensch, ein schlichter Mann vom Bau, ein Häuserbauer mit einem Verstand, der nur drei Divisionen kennt — oder Dimensionen, na, ist ja völlig wurscht ... Aber da steckt etwas anderes dahinter, etwas, was ich erfahren muß… hinter dem Spiegelbild, verstehst du, Christinchen?«
    »Ganz genau, Herr Gisevius, ich verstehe alles!« sagte sie seufzend und nahm ihn am Arm...
    »Siehst du, Christinchen, du bist das netteste und klügste Mädchen, das ich kenne... Und du brauchst mir nur zu sagen, daß dir in diesem komischen Hause, wo es nicht mal eine anständige Hausbar gibt, irgend etwas nicht paßt... Ein krummes Wort, ein einziges krummes Wörtchen! Und ich nehme dich mit nach Caracas! Ist das klar?«
    »Vollkommen klar, Herr Gisevius! Sie nehmen mich nach Caracas mit, und ich nehme Sie jetzt nach oben mit, in Ihr Zimmer... Kommen Sie schon! Na, sehen Sie, es geht ja ganz gut... Aber bitte! Leise! Leise!«
    »Ganz leise! Aber trotzdem möchte ich mir die Bemerkung erlauben, daß ich blau bin...«
    »Wollen Sie jetzt endlich ruhig sein!« zischte Christine und hielt ihm die Hand vor den Mund. Sie nahm seinen linken Arm, schlang ihn um ihre Schultern und schleppte ihn zur Treppe. In der Dunkelheit wurden ihm die Knie weich, aber Christine ließ nicht aus, sondern zog sich mit ihm am Geländer zum oberen Stockwerk empor und atmete erleichtert auf, als sie ihn in sein Zimmer und aufs Bett verfrachtet hatte. Mein Gott, was hatte dieser Mensch für ein Gewicht...! Man konnte nur hoffen, er werde weitere Hilfe nicht nötig haben! Aber zur Vorsicht stellte sie ihm doch einen Eimer ans Bett...
    »Gute Nacht, Christinchen... Es war ein richtig schöner Abend! Und du bist nicht nur ein kluges Mädchen, du bist auch ein verdammt hübsches Mädchen! Das muß einmal deutlich ausgesprochen werden!

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