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Eine Frau für Caracas

Eine Frau für Caracas

Titel: Eine Frau für Caracas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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gedreht!«
    »Das fürchte ich allerdings auch...!«
    Es war noch nicht acht Uhr, als Werner die Autobahn erreichte, und es war kurz nach elf, als er die Eyssing-Werke vor sich liegen sah. Man konnte an der blauen Leuchtschrift nicht vorüberfahren , ohne sie zu bemerken. Zwischen zwei Mörsern mit quergestellen Stößeln stand in mannshohen Buchstaben der Namenszug des Besitzers auf dem Dachfirst. Die Gebäude — Fabriken, Labors, Verwaltungs- und Packräume —, in Stahlkonstruktionen aufgeführt, bedeckten ein Areal, das noch imponierender war, als Werner es erwartet hatte. Den Eingang bildeten zwei mächtige Klinkerklötze, an deren linken sich eine Pförtnerloge anschloß. Die Kontrolle war oberflächlich, es genügte für den Einlaß , daß er angab, Herrn Doktor Eyssing sprechen zu wollen. Die Frage, ob er angemeldet sei, beantwortete er etwas orakelhaft damit, daß er gestern bereits ein Nachtgespräch von München ausgeführt habe. Er wurde zu einem Verwaltungsgebäude gewiesen, vor dem eine Reihe schwerer Wagen mit zumeist ausländischen Kennzeichen parkte, zwei Schweden, zwei Schweizer und ein Franzose waren darunter. Wieder ein Portier, der ihn bat, den Fahrstuhl bis zum zweiten Stockwerk zu benutzen und sich dort im Chefsekretariat anzumelden. Das Chefsekretariat wiederum bestand aus zwei Räumen, die durch eine unterteilte Glaswand voneinander getrennt waren. In dem kleineren Zimmer, in das er eintrat, saß eine grauhaarige, aber immer noch sehr gutaussehende und gepflegte Frau an einem Schreibtisch mit mehreren Telefonen, während hinter der Glaswand in einem großen, ziemlich nüchternen Raum sechs Stenotypistinnen auf ihren Schreibmaschinen klapperten. Wenn es sich dabei nur um die Bearbeitung der Chefkorrespondenz handelte, dann konnte sich Doktor Eyssing über Mangel an Beschäftigung nicht beklagen.
    Ein schwarzes Schild mit Messingbuchstaben stand auf dem Schreibtisch vor den Telefonen: Olga Störting — Chefsekretärin. Und Werner stellte sich Frau Störting vor. Er käme im Augenblick aus München, lebe aber in Venezuela und sei Architekt in Caracas... Er zögerte sekundenlang, bevor er seinen Wunsch aussprach, Herrn Dr. Eyssing sprechen zu dürfen.
    »Wollen Sie mir bitte verraten«, fragte Frau Störting lächelnd, »in welchen Angelegenheiten Sie Herrn Dr. Eyssing zu sprechen wünschen? Da Sie Architekt sind, nehme ich nicht an, daß es sich um einen Geschäftsbesuch handelt...«
    »Ganz recht... Es ist eine rein private Angelegenheit. Es tut mir leid, daß ich Ihnen nicht mehr sagen kann.«
    »Das ist wirklich wenig«, sagte sie mit einem kleinen Seufzer, »Herr Dr. Eyssing liebt präzise Angaben. Aber ich will sehen, daß ich Sie trotzdem anbringe...« Es klang, als hätte sie gesagt: auf den vertrauenerweckenden Eindruck hin, den Sie machen... Und Werner bedankte sich mit einer kleinen Verbeugung.
    »Sie müssen sich allerdings ein wenig gedulden, Herr Dr. Eyssing hat gerade eine Besprechung mit den Herren der chemischen Abteilung. Darf ich bitten?«
    Sie öffnete die Tür zum Nebenzimmer, einem mit behaglichen Polstermöbeln ausgestatteten Raum. Eine schalldichte Tür führte ins nächste Zimmer, in dem Werner das Allerheiligste vermutete.
    »Wenn Sie rauchen wollen, Herr Gisevius — Zigaretten finden Sie in dem Kästchen. Und wenn über der Tür Grün aufleuchtet, haben Sie freie Fahrt.«
    Sie nickte ihm zu und ließ ihn allein. Er trat ans Fenster und preßte die Stirn für einen Moment gegen das kühle Glas. Es war keine erfreuliche Aussicht, Industriegelände, so weit das Auge reichte, Beton, Glas, Schuppen, Packhöfe, Stahlschienen, Lorenzüge, Abraumplätze, hochaufragende gelbe und rote Schlote, und darüber ein grauer Himmel aus Qualm. Er bemühte sich, Haltung zu bewahren und sich auf die bevorstehende Begegnung mit Anitas Vater mit vollendeter Höflichkeit zu rüsten, aber er spürte doch, daß sein Herz schneller schlug. Wem würde er gegenübertreten? Einem starrköpfigen alten Mann, der hier tyrannisch über sein Werk und daheim über seine Familie herrschte, unduldsam, hart und selbstgerecht, mit dem lieben Gott auf Duzfuß und vertraglich durch die Formel >Gibst du mir, so geb ich dir< verbunden — ein Typ, dem er drüben unter den großen Ölmagnaten oft genug begegnet war...
    Ein leiser Summton, über der Tür grünes Licht und darin weiße Buchstaben: Bitte einzutreten. Werner öffnete die schwer gepolsterte Tür und trat in einen nicht allzu großen, aber mit

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