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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Mauer, stumm, mit hängenden Schultern, den Kopf gesenkt, in Pantoffeln. Sie hatte den Kopf gedreht und plapperte über ihre Schulter weg immer die gleichen schnellen Sätze.
    Was war los? Folgendes: Das Flüchtlingsmädel, das bei den Postratsleuten in Untermiete wohnte und noch am Samstag morgen zu uns von Schlußmachen und Nichtmehrkönnen gejammert hatte, ist im Treppenhaus mit einem Revolver in der Manteltasche erwischt worden. Sie hat das Schießding wohl noch aus ihrer Heimat mitgebracht, niemand weiß es. Sie riß sich los, raste treppauf und entkam ihren Verfolgern im Gewirr der Dachmansarden. Seither ist sie verschwunden. Nun hat man in den Zimmern der Postrats alles durcheinandergeworfen und fand, oh Schreck, schließlich ein Foto, auf dem das Mädel im Brustbild mit einem SS-Soldaten zu sehen ist. Das Bild haben sie hier unten, sie zeigen es mir, ich muß bestätigen, daß dies die Königsbergerin ist. Der SS-Mann ist wohl ihr Verlobter oder auch ihr Bruder; er hat den gleichen dicken Kopf wie sie.
    Und nun wollen die Russen, nachdem sie die beiden Alten als Geiseln verhaftet haben, diese sofort erschießen, wenn sie nicht das Mädel herschaffen, wenn sie nicht sagen, wohin das Mädel geflüchtet ist.
    Erst mal kann ich einen Irrtum aufklären. Die Russen haben die beiden Alten für des Mädchens Eltern gehalten. Sie sind noch an richtige Familien gewöhnt, diese Männer; sie kennen unser verwirrtes, vereinzeltes, durcheinandergewürfeltes Hausen nicht. Als sie hören, daß es sich um Fremde handelt, bei denen das Mädel bloß wohnte, ändern sie bereits ihren Ton. Die alte Frau, die während unseres Hin- und Herredens die Russen und mich genau in ihrem Angstblick hielt, bricht nun in eine Redepause ein und glaubt sich zu nützen, indem sie die Verschwundene beschimpft, sie schlecht macht: Man habe ihnen die Person einfach in die Wohnung gesetzt, sie habe ihnen nichts als Ärger und Unordnung gebracht, man habe sie dicksatt gehabt, wundere sich über gar nichts – und wenn sie wüßte, wo das Mädel sei, so würde sie's schon sagen, sie habe keinen Grund, das zu verschweigen. Und so weiter.
    Bestimmt würde die Frau das Mädel preisgeben, wenn sie könnte. Immerfort wiederholt sie ihr angstbebendes Geschwafel, während der Mann stumpf und dumpf dasteht, das Gesicht zur Mauer gekehrt.
    Ich rede und rede, erkläre den Russen, daß das Mädel mit seinem Revolver bestimmt keine Tötungsabsichten gegen die Russen hatte, daß es, wie ich selbst gehört hätte, Selbstmord plante und sich vermutlich längst irgendwo erschossen habe – vielleicht werde man bald ihre Leiche finden. (Das Wort für Selbstmord, ssamo-ubiestwo, steht auch nicht im deutsch-russischen Soldatenwörterbuch. Ich habe es aus Andrej herausgefragt.)
    Allmählich lockerte sich die Stimmung. Ich konnte es wagen, die Postratsleute in komischer Form als vollendete Trottel hinzustellen, die von nichts eine Ahnung hätten. Schließlich hatte sich auch der Mann herumgedreht. Aus seinem offenhängenden Mund seiberten Speichelfäden wie bei einem Säugling. Die Frau schwieg, ihre hellen, irren Altfrauenaugen flitzten zwischen mir und den Russen hin und her. Am Ende durften beide lebend abziehen.
    Mir wurde noch aufgetragen, allen Zivilisten im Hause mitzuteilen, daß beim nächsten Waffenfund das ganze Gebäude vom Keller bis zum Söller heruntergebrannt würde, nach Kriegsrecht. Das Mädel aber, so schworen die Männer, würden sie finden und liquidieren.
    Ganz verwandelt sind meine fröhlichen Wodkatrinker. Gar nicht wiederzuerkennen! Sie geben auch mir gegenüber kein Zeichen davon, daß sie mir über dem runden Tisch viele Male zugetrunken haben. Es ist kein Verlaß auf ihr Gejodel. Offenbar ist Dienst Dienst für sie und Schnaps Schnaps – zumindest für diese drei Burschen. Ich muß es mir merken, muß vorsichtig sein mit ihnen.
    Ich war hinterher ganz zufrieden mit mir, aber auch ängstlich. Auf diese Art werde ich bekannt wie ein bunter Hund, und daran liegt mir nichts. Ich gebe es zu, daß ich Furcht habe und im Verborgenen bleiben möchte. Als ich ging, kam der Mann, der mich geholt hatte, hinterdrein, bat mich, einen Ausdruck zu übersetzen, den er oft von Russen gehört: »Gitler Durak.« Ich übersetze: »Hitler ist ein Schafskopf.« Das sagen sie uns immerzu triumphierend, als sei es ihre Entdeckung.
    Mittwoch, 2. Mai 1945, mit Dienstagrest
    Ich hockte den halben Dienstag nachmittag an Herrn Paulis Bett und schrieb nach, was geschehen.

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