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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Hände sind weiß und schmal.
    Nun sieht er mich ernst an und spricht in ungelenkem Deutsch: »Nicht chaben Angst.«
    Die Frau Wendt flüstert uns beiden zu, dieser Russe heiße Stepan, er habe bei einem deutschen Luftangriff auf Kiew die Frau und zwei Kinder verloren – er habe uns jedoch alles verziehen und sei überhaupt wie ein Heiliger.
    Nun schiebt der dritte Russe, klein und pockennarbig, mir eine Büchse hin, die er mit seinem Taschenmesser geöffnet hat. Das Messer gibt er mir gleich dazu und bittet mich durch Gesten, zu essen. Es ist Fleisch in der Büchse. Ich spieße mir fette, große Brocken davon in den Mund, ich bin hungrig. Alle drei Russen schauen mir wohlgefällig zu. Die Frau Wendt macht den Küchenschrank auf und zeigt uns ganze Reihen von Konservenbüchsen, alle von den drei Burschen angeschleppt. Es ist wirklich gemütlich hier. Dabei sind die beiden Frauen eher abstoßend; Frau Wendt mit dem Ekzem; und die Ex-Haushälterin ist ein Mausgeschöpf, bebrillt und verkümmert. Da kann einem das Schänden vergehen. Der Himmel mag wissen, warum diese Männer gerade hier Fuß gefaßt haben und so fleißig anschleppen.
    Ich könnte noch lange sitzen bleiben. Stepan strahlt ordentlich Schutz aus. Ich staune ihn an wie ein Bild, nenne ihn bei mir, in der Erinnerung an die Brüder Karamasow, Aljoscha. Aber die Witwe wird unruhig, sie sorgt sich um den allein in seinem Bett zurückgebliebenen Herrn Pauli. Obwohl doch unsere Männer, und gar kranke, bettlägrige, bestimmt nichts von den Russen zu befürchten haben. Unvorstellbar, daß einer von diesen Burschen hüftschwenkend daherkäme und einem Mannsbild zusäuselte: »Mann, komm.« Die sind hoffnungslos normal.
    Serjoscha bringt uns mit der Kerze an die Tür, ist lammfromm und zahm unter Stepans Blick, riskiert erst im Türrahmen ein sachtes Kneifen in meinen Oberarm.
    Wir traben abwärts, jeder mit einer Fleischbüchse in Händen. Aus unserer Wohnung schallt muntere Musik. Drinnen ist Hochbetrieb. Im Wohnzimmer hockt, durch die allzeit offene Hintertür eingedrungen, fast vollzählig der Haufen von Anatol. Sie haben irgendwo ein Schifferklavier aufgetrieben und spielen abwechselnd darauf. Jeder versucht's, keiner kann's richtig, und das Ergebnis ist danach. Aber sie lachen sehr dabei. Sie wollen feiern, heute ist erster Mai. Wo Anatol steckt, wissen sie nicht, sie sagen, er sei dienstlich unterwegs, er habe vieles zu beschicken.
    Wir verziehen uns nach nebenan, an Herrn Paulis Bett – und finden dort Russenbesuch. Der düstere Leutnant an seinem plattengeschmückten Wanderstock und noch einer, den er anscheinend mitgebracht hat und den er uns auf ebenso gewandte wie beiläufige Art vorstellt: -tsch -tsch -tsch Soundso, Major. (Sie haben eine spezielle Art, ihre Vaters- und Familiennamen zu vernuscheln und zu vertuscheln, sind alle bemüht, ihre Identität zu verkleistern, geben nur ihre Allerweltsvornamen preis sowie die Ränge, die ihnen der Kenner ja ohnehin ansieht.)
    Ich starre den Düsterblonden voll Abneigung an und wünsche ihn sonstwohin. Doch er gibt kein Zeichen des Erkennens, tut fremd und formell und ist tadellos höflich. Noch höflicher ist der von ihm mitgebrachte Major. Er springt bei unserem Eintritt auf, verbeugt sich wie in der Tanzstunde, wiederholt vor jedem von uns seinen Gruß. Ein großer, schlanker Typ, brünett, in sauberer Uniform, er schleppt das eine Bein eine Kleinigkeit nach. Nachträglich erst entdecke ich noch einen dritten Neuling im Zimmer. Er saß reglos auf einem Stuhl am Fenster, trat erst auf Anruf des Majors blinzelnd zu uns in das Kerzenlicht. Ein Asiat mit dicken Kinnbacken und verquollenen Schlitzäuglein, uns vorgeführt als des Majors Bursche. Gleich nachher verzog er sich wieder in seinen Fensterwinkel, stellte den Kragen seines grauwollenen Mantels hoch gegen den von draußen hereinpustenden Wind.
    Zu viert sitzen wir nun um Paulis Bett, die Witwe, ich, der Major und der Düsterblonde. Das Reden besorgt der Major. Ich muß auf seine Bitte zu Herrn Pauli und der Witwe hin, die er für ein Ehepaar hält, seine zahlreichen, gewählten Höflichkeitsfloskeln verdeutschen. Er und ich mustern einander verstohlen. Tastend wechseln wir die Worte. Ich werde nicht klug aus ihm, behalte ihn im Auge. Nun offeriert der Major Zigarren, die er lose in der Jackentasche trägt. Dankend nimmt Pauli zwei Stück davon entgegen, raucht die eine an, wobei er von dem Major Feuer nimmt. Beide qualmen bedächtig. Der Major hält

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