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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Vorsichtshalber habe ich mir die letzten Seiten dieser Schreibkladde als deutsch-russisches Wörterverzeichnis eingerichtet, das ich neugierig dazwischenplatzenden Russen jederzeit vorweisen kann. Tat es einmal bisher und erntete ein schulterklopfendes Lob.
    Gegen Abend gab es eine Störung. Jemand trat und schlug gegen die Vordertür. Ich öffnete bei versperrter Kette, sah etwas Weißes und erkannte den Bäcker von Dienstag früh in seiner Kittelmontur. Er wollte herein. Ich wollte nicht, tat so, als sei Anatol drinnen. Da forderte er von mir ein anderes Mädel, irgendeins, eine Adresse, einen Hinweis, wo eines sei – er wolle dem Mädel Mehl dafür geben, viel Mehl, und auch mir Mehl für die Vermittlung. Ich weiß kein Mädel für ihn, will keins wissen. Da wurde er lästig, zwängte seinen Fuß in den Türspalt, riß an der Verschlußkette. Ich drückte ihn mühsam hinaus, knallte zu.
    Ja, die Mädel sind allmählich verknappte Ware. Man kennt jetzt die Zeiten und Stunden, in denen die Männer auf die Weibsjagd gehen, sperrt die Mädel ein, steckt sie auf die Hängeböden, packt sie in den gut gesicherten Wohnungen zusammen. An der Pumpe wurde eine Flüsterparole weitergegeben: Im Luftschutzbunker hat eine Ärztin einen Raum als Seuchenlazarett eingerichtet, mit großen Schildern in Deutsch und Russisch, daß Typhuskranke in dem Raum untergebracht seien. Es sind aber lauter blutjunge Mädels aus den Häusern ringsum, denen die Ärztin mit ihrem Typhustrick die Jungfernschaft rettet.
    Wenig später gab es wiederum Lärm. Diesmal hatten sich zwei, uns bis dato unbekannt, in die leerstehende Nebenwohnung Einlaß verschafft. In etwa zwei Metern Höhe ist die Trennwand zwischen den Wohnungen von einem der letzten Luftangriffe her eingerissen und klafft vier Fäuste breit. An diesen Spalt oben in der Mauer hatten die Kerle drüben sich offenbar einen Tisch herangerückt. Nun riefen sie durch den Riß hindurch, wir sollten ihnen sofort die Tür öffnen, sonst würden sie auf uns schießen. (Daß unsere Hintertür ohnehin offensteht, wußten sie wohl nicht.) Einer der Kerle leuchtete mit seiner Taschenlampe in unseren Flur herein, während der zweite sein Automatengewehr in Anschlag brachte. Aber wir wissen schon, daß sie so rasch nicht schießen, vor allem dann nicht, wenn sie noch so nüchtern und zungenfix sind wie die beiden. Ich ging auf den albernen Ton ein, versuchte auf russisch komisch zu sein. Zwei bartlose Knäblein übrigens, ich redete ihnen gut zu und predigte sogar über den Ukas des großen Stalin. Schließlich entfernten sie sich von ihrem Schießstand, polterten noch eine Weile mit den Stiefeln gegen unsere Vordertür und verzogen sich am Ende. Wir atmeten auf. Immerhin ein beruhigendes Gefühl, daß ich notfalls eine Treppe höher laufen und jemand von Anatols Mannen zu Hilfe rufen kann. Wir sind Anatols privater Hirschpark. Das wissen jetzt die meisten.
    Der Witwe wurde es dennoch so langsam unheimlich zumute, besonders als auch gegen Abend keiner von unseren Stammgästen auftauchte. Sie benutzte einen Augenblick der Ruhe im Treppenhaus und huschte aufwärts, Kontakt mit Hausbewohnern zu suchen. Kehrte nach zehn Minuten zurück: »Bitte komm mit zu der Frau Wendt, dort sind so nette Russen, es ist richtig gemütlich.«
    Frau Wendt, das ist die alleinstehende Fünfzigerin mit dem eitrigen Ekzem auf der Wange, dieselbe, die seinerzeit ihren Trauring am Schlüpfergummi festgezurrt hatte. Es stellt sich heraus, daß sie mit der übriggebliebenen Haushälterin unseres westwärts geflüchteten Hausbesitzers zusammengezogen ist – eine der Angst- und Notgemeinschaften, wie sie sich überall ringsum bilden. In der kleinen Küche war Mief und Tabakqualm. Im Kerzenschein unterschied ich die beiden Frauen und drei Russen. Vor ihnen auf dem Tisch sah man eine ganze Menge Konserven, die meisten ohne Aufschriften, wohl deutsche Truppenverpflegung, Russenbeute. Die Witwe bekam gleich von einem der Russen eine Büchse in die Hand gedrückt.
    Auf Wunsch der Frauen sprach ich kein Wort Russisch, markierte Lieschen Doof. Von den drei Russen kannte mich keiner. Einer, Serjoscha gerufen, rückte mir auf den Leib, legte mir den Arm um die Hüfte. Worauf ein anderer Russe eingriff und in sanftem Ton sagte: »Bruder, ich bitte dich, laß das sein.« Und Serjoscha rückte ertappt von mir weg.
    Ich staune. Der gesprochen hat, ist jung und von Gesicht schön. Er hat dunkle, regelmäßige Züge. Seine Augen leuchten. Seine

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