Eine Frau in Berlin
Pauli hin und wieder aufs höflichste den Aschenbecher hin. Plötzlich springt er auf, bittet, ihm doch sagen zu wollen, ob er vielleicht störe – dann werde er gleich diesen Raum verlassen, aber sofort! Und er tut so, als sei er bereits auf dem Sprung dazu. Nein, nein, wir wehren ab, er stört uns nicht. Worauf er wieder Platz nimmt, schweigend weiterqualmt. Der reine Knigge. Wieder ein völlig neues Muster aus der offenbar unerschöpflichen Mustersammlung, die uns die UdSSR da geschickt hat. Übrigens ist er nervös. Seine Hand, welche die Zigarre hält, zittert beträchtlich. Oder hat er Fieber? Denn er hat inzwischen berichtet, daß er am Knie verwundet sei und mit dem anderen, dem düsterblonden Leutnant, zusammen im Krankenhaus verbunden werde. (Im Krankenhaus sitzen sie also auch drin. Möchte wissen, wie man sie dort verstaut hat und wohin man die Unsrigen gepackt hat, die doch vorige Woche noch jedes Bett und jeden Raum füllten.)
Der Gesangverein nebenan hat sich inzwischen mitsamt dem Schifferklavier aus unserer Wohnung verzogen. Es wird still um uns. Ich schiele auf die Armbanduhr des Düsterblonden. Die Zeiger gehen schon auf elf zu. Wir sehen einander an, die Witwe, Herr Pauli und ich, wissen nicht, was wir aus diesen Gästen herauslesen sollen.
Nun gibt der Major dem Asiaten im Fensterwinkel einen Befehl. Und der zerrt aus einer seiner Manteltaschen etwas, das kaum herausgeht: eine veritable Flasche deutschen Markensekt! Er stellt sie in den Lichtkreis der Kerze auf das Tischchen an Paulis Bett. Schon läuft die Witwe nach Trinkgläsern. Wir stoßen an, trinken aus. Dabei geht zwischen dem Major und dem düsterblonden Leutnant ein halblautes Palaver hin und her, das ich offenbar nicht hören soll. Bis der Major sich unvermittelt an mich wendet und mich fragt, so streng wie in der Schule: »Was wissen Sie vom Faschismus?«
»Faschismus?«, wiederholte ich stotternd.
»Ja, bitte sehr. Erklären Sie uns die Herkunft des Wortes. Nennen Sie das Ursprungsland dieser politischen Richtung.«
Ich überlege krampfhaft, stammle dann was von Italien, Mussolini, alten Römern, fascio gleich Rutenbündel, was ich anhand des plakettenbepflasterten Wanderstocks des Leutnants klarzumachen versuche... Und die ganze Zeit hindurch zittern mir Hände und Knie, weil ich plötzlich zu wissen glaube, was dieser Major vorstellt und was er von mir will: Er will mich politisch prüfen, will feststellen, wie mein Glaubensbekenntnis, meine Vergangenheit ist – um mich dann für irgendwelche russischen Belange einzuspannen, als Dolmetscherin oder Armeehelferin, was weiß ich – und ich sehe mich schon verschleppt und versklavt irgendwo auf den Straßen des Krieges... Oder sind es GPU-Leute, wollen sie mich als Spitzel verwenden? Hundert Entsetzensgedanken, ich fühle, wie meine Hände bleiern herabfallen, bringe die letzten Worte kaum noch heraus...
Ich muß wohl bleich geworden sein, denn die Witwe, die doch kein Wort von unserer Unterhaltung versteht, blickt mich ängstlich fragend an. Nun höre ich, wie der Major zu dem düsterblonden Leutnant sagt, und es klingt zufrieden: »Ja, sie hat ein gutes politisches Wissen.« Und er hebt sein Glas und trinkt mir zu.
Ich atme auf, fange mein Herz im Halse ein. Offenbar ist das Examen bereits überstanden und hatte weiter keinen Sinn als den, meine Schulweisheit abzuklopfen. Ich trinke aus und erhalte den letzten Rest aus der Sektflasche eingeschenkt. Der Witwe fallen allmählich die Augen zu. Es wird Zeit, daß die Gäste sich empfehlen.
Plötzlich ein neuer Ton, ein offenes Angebot. Der düsterblonde Leutnant sagt in zwei Sätzen, um was es geht: »Hier ist der Major. Er läßt Sie fragen, Bürgerin, ob er Ihnen angenehm sei.«
Ich falle aus allen Wolken, stiere die beiden Männer dumm an. Der Major ist auf einmal sehr mit seiner Zigarre beschäftigt, sorgsam drückt er den Rest im Aschbecher aus. Er scheint gar nicht gehört zu haben, was in seinem Auftrag der Leutnant fragte. Den Asiaten kann ich im Dunkeln am Fenster nicht erkennen. Stumm hockt er noch da. Sekt hat er nicht abbekommen.
Schweigen. Die Witwe sieht mich mit achselzuckender Frage an.
Dann wieder der Leutnant, tonlos, gleichmütig: »Ist der Major Ihnen angenehm? Können Sie ihn lieben?«
Lieben? Verdammtes Wort, ich kann es nicht mehr hören, bin so erschrocken und ernüchtert, daß ich nicht weiß, was sagen, was tun. Immerhin gehört der düsterblonde Leutnant doch zu Anatols Kreis. Er kennt also das
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