Eine Frau in Berlin
Bein. Er stöhnt auf, beschimpft mich, schlägt mit stumpfer Faust nach mir. Dann beugt er sich aus dem Bett heraus, sucht am Boden herum. Erst nach einer Weile begreife ich, daß er nach seinem Stock sucht, den er vor dem Bett liegengelassen hat. Es ist ein knotiger Wanderstock. Wenn er mir im Dunkel damit eins über den Kopf zieht, ist es aus. Ich versuche, ihm die Hände festzuhalten, zerre ihn von der Bettkante weg. Wieder fängt er an zu drängen. Ich flüstere: »Das ist ja wie bei Hunden...« Ein Satz, der ihm ausnehmend gefällt, denn er wiederholt ihn mürrisch und ausdauernd: »Ja – gut so – wie bei Hunden – sehr gut – Hundeliebe – Hundeliebe –.« Zwischendurch fallen wir beide für Minuten in erschöpften Schlaf, dann drängt und wühlt er wieder... Ich bin so wund, so kaputt, wehre mich im Halbschlaf dumpf weiter, er hat ganz kalte Lippen...
Gegen 5 Uhr, beim ersten Hahnenschrei, kam er mühsam hoch, krempelte sich das Hosenbein auf und hob den schmuddligen Mullverband von seiner gezackten Wunde. Ich, unwillkürlich davor zurückschreckend: »Kann man helfen?« Er schüttelt den Kopf, stiert mich eine Weile an – und spuckt dann unvermittelt vor mein Bett, spuckt Verachtung. Er ging. Ein Alpdruck wich. Ich schlief noch drei Stunden brunnentief.
Dienstag, 1. Mai 1945, nachmittags
So angstvoll haben wir heute den Tag begonnen, saßen ab acht Uhr fix und fertig da und harrten böser Dinge. Doch es begann wie immer. Plötzlich war die Küche voll von Mannsbildern, bekannten und unbekannten. Einer kam in weißem Kittel daher, stellte sich als Bäcker vor und versprach mir flüsternd Mehl und Brot, viel Mehl und Brot, wenn ich mit ihm – (er sprach es nicht aus, was sie meistens »lieben« oder gar »heiraten« oder schlicht »schlafen« nennen, machte bloß schräge Augen).
Rufe von der Straße her, die alle Kerls im Nu aus unserer Küche verschwinden ließen. Wenig später standen sie in zwei Reihen ausgerichtet unten unter dem Ahorn. Anatol spazierte vor ihnen auf und ab, jeder Zoll ein Oberleutnant, aber ein gemütlicher: Er hatte die Hände in den Taschen seiner Lederjacke vergraben und hielt eine Rede. Satzbrocken drangen zu mir herauf: »... Erster Mai... naher Sieg... lustig sein, doch den Ukas des Genossen Stalin im Sinn behalten...« etcetera. Er zwinkerte dabei seinen Leuten verschmitzt zu, und die Männer grinsten zurück. Andrej trat vor, stellte eine Frage und erhielt Antwort. Noch zwei, drei Männer hoben die Hand wie in der Schule, fragten etwas, sprachen freiweg. Ich sah nichts von Strammheit und Zackigkeit. Der Genosse Oberleutnant gibt sich als Genosse. Während der Zeremonie heulten drüben an der Schule die Kartjuschas weiter und zogen Feuerspuren über den schwefelgelben Himmel.
Mir war elend und wund, ich schlich wie eine lahme Ente. Die Witwe kramte ihren Arzneischrank vom Hängeboden herunter, wo sie ihn versteckt hat, und gab mir eine Blechdose mit einem Rest Vaseline.
Hab darüber nachdenken müssen, wie gut ich es bisher gehabt, daß mir in meinem Leben die Liebe niemals zur Last und immer zur Lust war. Bin nie gezwungen worden, hab mich niemals zwingen müssen. So wie es war, war es gut. Es ist nicht das Allzuviel, was mich jetzt so elend gemacht hat. Es ist der mißbrauchte, wider seinen Willen genommene Körper, der mit Schmerzen antwortet.
Ich muß an eine verheiratete Schulfreundin denken, die mir zu Anfang des Krieges einmal gestand, daß sie sich in einem gewissen Sinne nun, ohne Mann, da der ihre eingezogen war, körperlich wohler fühle als vorher in der Ehe, da ihr der Vollzug dieser Ehe stets schmerzhaft und unerfreulich gewesen, was sie ihrem Manne aber nach Kräften verheimlicht habe. Frigide nennt man sowas wohl. Ihr Körper war nicht bereit. Und frigide blieb ich bisher bei all diesen Beiwohnungen. Es kann, es darf nicht anders sein, ich will tot und gefühllos bleiben, solange ich Beute bin.
Über Mittag konnte ich zufällig zwei Menschenleben retten. Es fing damit an, daß ein Deutscher, ein mir unbekannter älterer Mann, an unsere Vordertür klopfte und nach mir rief, das heißt, »nach der Dame, die Russisch kann«.
Ich, treppab mit ihm, sehr zögernd, zugegeben, denn der Mann brabbelte was von Revolvern und Erschießen. Unten standen die beiden alten Postrats und, Erleichterung, etliche von Anatols Mannen, Unteroffiziere. (Ich unterscheide dank Anatols Elementar-Unterricht die Grade schon ziemlich genau.) Er stand bereits mit dem Gesicht zur
Weitere Kostenlose Bücher