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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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Morgenrock der Witwe übergeworfen, mich unters Deckbett verkrochen.
    Er nähert sich, schiebt sich einen Sessel ans Bett. Was will er? Wieder Konversation machen, den Knigge spielen, siehe Kapitel »Vergewaltigungen von feindlichen Demoisellen?« Nicht doch, er will sich bekannt machen, er kramt allerlei Papiere aus seinen Innentaschen, breitet sie vor mir auf der Steppdecke aus, rückt die Kerze näher heran, daß ich gut sehe. Dies ist der erste Russe, der sich derart mit allen Einzelheiten preisgibt. Ich weiß nun, wie er heißt, wann er geboren ist und wo, weiß sogar, wieviel er besitzt; denn es ist ein Sparkassenbuch von der Stadt Leningrad unter den Papieren, auf dem über 4000 Rubel stehen. Dann sammelt er seinen Papierkram wieder ein. Er spricht ein gewähltes Russisch, was ich, wie immer, daraus erkenne, daß mir ganze Sätze unverständlich bleiben. Er scheint belesen, musikalisch, ist krampfhaft bemüht, sich auch jetzt noch gentlemanlike zu benehmen. Springt unvermittelt auf, fragt nervös: »Bin ich Ihnen unangenehm? Verabscheuen Sie mich? Sagen Sie es offen!«
    »Nein, nein.« Nein, keineswegs, du magst schon recht sein, so wie du bist. Nur kann ich mich nicht so schnell in die Lage finden. Ich habe das ekelhafte Gefühl des Von-Hand-zu-Hand-Gehens, fühle mich erniedrigt und beleidigt, zum Sexualobjekt degradiert. Dann wieder die Überlegung: »Und wenn es wahr wäre, daß Anatol entschwunden ist? Wenn mir dieses so mühsam errichtete Tabu, diese Mauer wieder genommen wäre? Wäre es nicht gut, ein neues, vielleicht länger währendes Tabu aufzurichten, eine neue Mauer um mich zu bauen?«
    Nun hat der Major sein Koppel abgenommen, seine Jacke abgelegt, immer im Zeitlupentempo und mit Seitenblicken auf mich. Ich sitze, warte, fühle den Schweiß in meinen Handflächen, will und will ihm nicht weiterhelfen. Bis er plötzlich sagt: »Bitte, geben Sie mir Ihre Hand.«
    Ich starre ihn an. Will er mich frei nach Knigge mit einem Handkuß beglücken? Oder ist er ein Handliniendeuter? Schon nimmt er meine Hand, drückt sie fest mit seinen beiden Händen und sagt, wobei ihm der Mund zittert und die Augen jämmerlich blicken: »Verzeihen Sie mir. Ich habe so lange keine Frau mehr gehabt.«
    Das durfte nicht kommen. Schon liege ich mit meinem Gesicht auf seinen Knien und schluchze und heule und heule mir einmal den ganzen Jammer von der Seele. Ich spüre, wie er mein Haar streichelt. Dann Geräusch an der Tür, wir blicken beide hoch. Im Türspalt steht, ihre Kerze in der Hand, die Witwe und fragt angstvoll, was mir denn sei. Der Major und ich winken beide ab, sie sieht wohl auch, daß mir nichts Böses getan wird, ich höre die Tür wieder zuklappen.
    Hab ihm dann wenig später und im Dunkeln gesagt, wie elend und wund ich bin und daß er sanft sein soll. Er war sanft und wortlos zärtlich, gab bald Ruhe, ließ mich schlafen.
    Das war mein Dienstag, erster Mai.
    Weiter, der Mittwoch. Zum ersten Mal in diesen Männernächten schlief ich mich aus bis in den Tag hinein und fand dann den Major noch an meiner Seite. Offenbar hat er keinen Dienst, kann sich's einteilen. Wir schwätzten mancherlei, ganz freundschaftlich und vernünftig. Unvermittelt gestand er mir, daß er keineswegs ein Kommunist sei – er sei Berufsoffizier, auf der Militärakademie ausgebildet, und hasse die jugendlichen Spitzel aus dem Komsomol. Woraus ich entnahm, daß auch die höheren Offiziere Grund haben, sich vor parteilicher Überwachung zu fürchten. Ich staune, wie offen er zu mir spricht. Allerdings sind wir ohne Zeugen. Ebenso unvermittelt wollte er wissen, ob ich auch bestimmt gesund sei – »Sie verstehen – ich meine, du verstehst mich.« (Er wirft Du und Sie noch durcheinander.) Worauf ich ihm wahrheitsgemäß erklärte, daß ich niemals mit dergleichen Leiden zu tun gehabt hätte, aber freilich nicht wüßte, ob mir nicht von seiten jener Russen, die mir Gewalt angetan, etwas Derartiges angehängt worden sei. Er schüttelt den Kopf, seufzt: »Ach, diese Hooligane!« (Hooligan, sprich »Chuligan«, russisches, vielgebrauchtes Fremdwort zur Bezeichnung von Lumpen, Strolchen, Lümmeln.)
    Er stand auf, zog sich an, rief im Gang nach dem Asiaten. Der kam sogleich angewackelt, noch auf Socken, seine Schuhe in der Hand. Der Leutnant blieb unsichtbar, hatte sich wohl schon empfohlen. Nebenan hörte ich die Witwe rumoren.
    Draußen fröstelte der Maimorgen. Ketten klirren, Pferde wiehern, längst hat der Hahn gekräht. Doch keine

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