Eine Frau in Berlin
Tabu. Ist denn Anatol nicht mehr da? Ist dieser Major vielleicht sein Dienstnachfolger? Denkt er, daß er deshalb auch bei mir die Nachfolge antreten kann? Aber nein, der Major hat ja soeben erzählt, daß er derzeit im Krankenhause wohnt, daß er dort sein Bett hat.
Ich stehe auf und sage: »Nein. Ich verstehe nicht.«
Der Leutnant humpelt an seinem Stock hinter mir her durch das Zimmer, während der Major immer noch scheinbar unbeteiligt an Paulis Bett sitzt und an den bang und ratlos schweigenden beiden Deutschen vorbeischaut.
Halblaut murmele ich zu dem Leutnant hin: »Und Anatol? Was ist mit Anatol?«
»Was, Anatol?« ruft er grob und laut. »Wieso Anatol? Der ist ja längst weit weg. Der ist zum Stab versetzt.«
Anatol weg? So ohne ein Wort? Ob das stimmt? Aber es klingt so sicher, so höhnisch überlegen.
Mir dreht sich der Kopf. Nun erhebt sich auch der Major, verabschiedet sich aufs zeremoniellste von der Witwe und von Pauli, ich höre seine wiederholten Dankesbezeugungen für die gewährte Gastfreundschaft. Pauli und die Witwe haben von der ganzen Kuppelei nicht das geringste begriffen. Ich wage auch nicht, in Gegenwart der Russen mit den beiden Deutschen deutsch zu sprechen. Ich weiß schon, Russen mögen das nicht, vermuten dann gleich Komplott und Verrat.
Mit einer Verbeugung gegen uns alle zieht sich der Major zur Tür zurück. Vom Fenster her kommt der Asiat angewackelt. Ich leuchte allen dreien mit meiner Kerze hinaus. Sehr langsam stapft der Major durch den Flur, sein rechtes Bein leicht nachziehend, doch bemüht, das Hinken zu unterdrücken. Der Leutnant stößt mich mit dem Ellenbogen an, fragt rüde: »Na? Überlegen Sie immer noch?« Dann kurze Diskussion zwischen ihm und dem Major darüber, wo man übernachten solle, ob im Krankenhaus oder –? Und der Leutnant fragt mich, kalt, doch wieder höflich: »Könnten wir vielleicht hier untergebracht werden? Wir alle drei?« Und er weist auf den Major und sich und den halb schlafend dastehenden Asiaten.
Alle drei? Bitte, warum nicht? So haben wir doch einen männlichen Schutz über Nacht, denke ich und führe die drei zu der Kammer hinten neben der Küche. Es steht eine breite Couch darin, mit etlichen Wolldecken darauf. Leutnant und Asiat drängen an mir vorbei in die Kammer. Schon reißt der Leutnant die Kammertür hinter sich zu, ich sehe nur noch, wie er eine Taschenlampe herumflackern läßt.
Ich stehe in der Küche, die Kerze in der Hand. Neben mir steht schweigend der Major. Höflich fragt er mich, wo das Bad sei. Ich weise ihm die Tür, lasse ihm die Kerze. Während ich wartend am Küchenfenster stehe und ins Dunkle hinausblicke, tut sich nochmals die Kammertür auf. Der Düsterblonde, schon in Hemdsärmeln, zischelt mir zu: »Das mit uns – das von gestern – das braucht keiner zu wissen.« Und er verschwindet wieder. Einen Moment überlege ich: »Wieso das mit uns?« Dann fällt mir die letzte Nacht wieder ein, die Hundeliebe, das Spucken vor mein Bett. Ewig lang scheint mir das zurückzuliegen, ist verdrängt, fast vergessen. Alle Zeitbegriffe haben sich mir verwirrt. Ein Tag ist wie eine Woche, reißt einen Abgrund zwischen zwei Nächte.
Der Major ist wieder da, tritt mit mir in mein Zimmer. Nun werden Pauli und die Witwe nebenan ja endlich kapiert haben, was hier gespielt wurde. Ich höre durch die Wand ihre gedämpfte Rede. Aus einer seiner Taschen zieht der Major eine neue, große Kerze, er läßt etwas Wachs auf einen Aschbecher tropfen, klebt das Licht fest und stellt es auf das Tischchen zu Seiten meines Bettes. Leise fragt er, und hat dabei die Mütze noch in der Hand: »Darf ich hierbleiben?«
Ich mache mit Händen und Schultern Zeichen der Hilflosigkeit.
Darauf er, mit gesenkten Augen: »Vergessen Sie den Oberleutnant. Er wird schon morgen weit weg sein. Ich habe es gehört.«
»Und Sie?«
»Ich? Oh, ich bleibe noch lange, sehr lange. Mindestens noch eine Woche, und vielleicht sogar länger.« Er weist auf das Bein: »Es steckt ein Splitter darin. Ich werde ärztlich behandelt.«
Nur tut er mir doch leid, wie er da so herumsteht. Ich bitte ihn, Platz zu nehmen, sich zu setzen. Er, verlegen: »Sie werden müde sein. Es ist so spät. Wenn Sie sich niederlegen wollen –?« Und er begibt sich zum Fenster hin, das aus Scherben und Pappe besteht und durch das man jetzt nichts, aber auch gar nichts mehr von der Front hört, und tut, als blicke er hinaus. Im Nu hab ich mich oberflächlich ausgezogen, mir einen alten
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