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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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auf der Chaiselongue in der Küche genommen. »Es geht ihr soweit gut«, meinte die Mutter, selber ganz verwundert darüber. Trotzdem hat sie die Kleine vorsichtshalber drei Treppen hoch in die Wohnung der Buchhändlersleute gebracht, wo sie, wie die Witwe gehört hat, allen Leuten wichtig wiederholt, die Russen hätten gleich nach ihr gelangt, hätten die ältere Schwester überhaupt nicht angeguckt.
    Noch einer kam und machte einen Abschiedsbesuch: Andrej, aus Anatols Haufen, der Schullehrer mit dem eisblauen Blick. Er saß noch eine Weile bei mir am Tisch, unterhielt mich mit Politik, hielt mit seiner leisen, beherrschten Stimme einen Vortrag, in dem es von Wörtern wie »sozialistitscheski, kapitalistischeski, jekonomitscheski« und so weiter nur so wimmelte. Derweil saß ich friedlich da, stopfte mein einziges Handtuch und flickte den kaputtgeschändeten Strumpfbandgürtel. Eine Art Ordnung macht sich wieder bemerkbar.
    Am Abend saßen wir, die Witwe, ich und die Gattin unseres Soldaten-Deserteurs, zu dritt beim Kerzenschein an Herrn Paulis Bett. Wir haben der Frau eine Kerze abgegeben, dafür hat sie uns eine Schachtel Streichhölzer überlassen. Pünktlich erschien der Major mit seinem pummeligen Schatten. Auf seiner kleinen Mundharmonika – einer deutschen Hohner, Beute – spielte er wild und feurig auf. Ließ sich schließlich sogar von seinem Burschen aus seinen weichledernen Stiefeln heraushelfen und tanzte auf Socken einen Krakowiak, wiegte sich in den Hüften, anmutig und geschmeidig, und das weiß er auch. Tanzte dann mit der Witwe einen Tango, wozu wir anderen einen Schlager sangen – spielte wieder, diesmal aus Rigoletto, aus dem Troubadour – es ist unglaublich, wieviel Musik er aus dem winzigen Maultrommelchen herausholt. Sein Usbek ließ die pechschwarzen Mongolenaugen keine Sekunde von ihm, sprach hin und wieder rühmende Worte aus, in kindlich unbeholfenem Russisch: »Oh, er ist gut. So wie ihn gibt es keinen mehr.« Am Ende ließ er sich von dem Major überreden, uns ein usbekisches Lied vorzusingen, vorzunäseln, sehr wunderlich. Er versuchte nach unendlichem Zureden sogar einen Tanz auf dicken Beinen. Unser Besuch, eine derbe Berlinerin, trank den Wein des Majors mit und nahm seine zeremoniellen Verbeugungen entgegen. Während er mit der Witwe tanzte, flüsterte sie mir zu: »Also, für den könnt' ich mich glatt vergessen!«
    Der Major blieb. Schwierige Nacht. Von all der Tanzerei war sein Knie wieder geschwollen und schmerzte ihn heftig. Er stöhnte, sooft er sich bewegte. Ich wagte mich kaum zu rühren. Mich hat er ganz in Ruhe gelassen. Ich schlief tief.
    Samstag, 5. Mai 1945
    Heute düsterer Maihimmel. Die Kälte will nicht weichen. Ich hocke auf dem Schemel vor unserem Herdfeuer, das kümmerlich von allerhand Nazi-Literatur gespeist wird. Wenn es alle Leute so machen – und sie machen es so – , wird Mein Kampf von Adolf noch einmal eine bibliophile Seltenheit werden.
    Hab soeben eine Pfanne voll Speckgrieben vertilgt, streiche mir die Butter fingerdick, während die Witwe finstere Prophezeiungen auf mich häuft. Ich höre nicht darauf. Was morgen sein wird, ist mir egal. Jetzt will ich so gut leben, wie ich irgend kann, sonst falle ich bei so viel Lebenswandel wie ein nasser Lappen zusammen. Das Gesicht schaut mir wieder rund aus dem Spiegel.
    Zu dritt haben wir uns heute über die Zukunft unterhalten. Herr Pauli richtet sich im Geiste schon wieder am Schreibtisch in seinem Metallwerk ein, verkündet einen gewaltigen Wirtschaftsaufschwung mit Hilfe unserer Sieger. Die Witwe überlegt, ob sie nicht vielleicht als Kantinenköchin im gleichen Werk unterkommen könnte, da sie für ihre bescheidene Rente aus der Lebensversicherung ihres Seligen schwarz sieht und befürchtet, daß sie sich Arbeit suchen muß. Und ich? Immerhin hab ich allerlei gelernt; ich werde schon irgendwo unterkommen. Bange ist mir nicht. Ich vertraue mein Schifflein blindlings den Zeitläuften an. Mich trug es bisher stets an grüne Ufer. Aber unser Land, unser Volk – weh ist uns zumute. Verbrecher und Hasardeure haben uns geführt, und wir haben uns führen lassen wie die Schafe zur Schlachtbank. Nun loht Haß in dem elenden Haufen. »Kein Baum ist hoch genug für den«, so hieß es heute früh an der Pumpe über Adolf.
    Am Nachmittag kreuzten etliche Männer bei uns auf. Das heißt, deutsche Männer aus unserem Haus. Es war ein ganz sonderbares Gefühl, wieder mal mit Männern umzugehen, die man nicht im

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