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Eine Frau in Berlin

Eine Frau in Berlin

Titel: Eine Frau in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anonyma
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wissen die wenigsten Russen was, das habe ich schon herausbekommen. Fast alle sind sie seit Kriegsbeginn, seit beinah vier Jahren also, von ihren Familien getrennt. Ich nehme an, weil ihr Land die ganze Zeit hindurch Kriegsschauplatz war und die Zivilisten hin und her geworfen wurden, so daß keiner recht wußte, wo seine Familie gerade steckte. Dazu die ungeheuren Entfernungen des Landes, die kümmerlichen Transportwege. Und vielleicht befürchteten die Machthaber auch, wenigstens in den ersten Jahren des deutschen Vormarsches, ihre Leute könnten dann desertieren oder überlaufen. Wie dem auch sei, einen Anspruch auf Urlaub wie die Unsrigen hatten diese Männer nie. Ich erkläre dies den beiden Frauen, und Frau Lehmann meint verständnisvoll: »Ja, das entschuldigt so manches.«
    Der zweite russische Gast ist ein junger Kerl, siebzehn Jahre alt, Partisan gewesen und dann mit der kämpfenden Truppe westwärts gezogen. Er sieht mich mit streng gerunzelter Stirn an und fordert mich auf, zu übersetzen, daß deutsche Militärs in seinem Heimatdorf Kinder erstochen hätten und Kinder bei den Füßen gefaßt, um ihre Schädel an der Mauer zu zertrümmern. Ehe ich das übersetze, frage ich: »Gehört? Oder selbst mit angesehen?« Er, streng, vor sich hin: »Zweimal selber gesehen.« Ich übersetze.
    »Glaub ich nicht«, erwidert Frau Lehmann. »Unsere Soldaten? Mein Mann? Niemals!« Und Fräulein Behn fordert mich auf, den Russen zu fragen, ob die Betreffenden »Vogel hier« (am Arm) oder »Vogel da« (an der Mütze) hatten, das heißt, ob sie Wehrmacht waren oder SS. Der Russe begreift den Sinn der Frage sofort: den Unterschied zu machen, haben sie wohl in den russischen Dörfern gelernt. Doch selbst wenn es, wie in diesem Fall und ähnlichen Fällen, SS-Leute waren: Jetzt werden unsere Sieger sie zum »Volk« rechnen und uns allen diese Rechnung vorhalten. Schon geht solches Gerede; ich hörte an der Pumpe mehrfach den Satz: »Unsere haben's wohl drüben nicht viel anders gemacht.«
    Schweigen. Wir starren alle vor uns hin. Ein Schatten steht im Raum. Das Baby weiß nichts davon. Es beißt in den fremden Zeigefinger, es kräht und quietscht. Mir steigt ein Klumpen in die Kehle. Das Kind kommt mir wie ein Wunder vor, rosa und weiß mit Kupferlöckchen blüht es in diesem wüsten, halb ausgeräumten Zimmer, zwischen uns verdreckten Menschen. Auf einmal weiß ich, warum es den Krieger zum Kindchen zieht.
    Sonntag, 6. Mai 1945
    Erst zurückgeschaut auf den Rest vom Samstag. Wieder erschien gegen 20 Uhr der Major mit seinem Mongolen. Diesmal zog der aus seinen unergründlichen Burschentaschen zwei Steinbutts, nicht groß, doch frisch. Die Witwe panierte und buk die köstlichen Fische. Wir aßen zusammen davon, auch der Usbek bekam ein Stück in seine Fensterecke gereicht, die er wie ein treuer Hund stets sogleich besetzt. Eine leckere Sache!
    Blieb der Major die Nacht? Allein hätte ich es nicht gewagt, mich zu entkleiden, hätte mich nicht allein im Zimmer schlafen gelegt, das weiß ich. Obwohl jetzt die Hintertür verschlossen ist, obwohl draußen kein Krieg mehr tobt, bleibt ein starker Rest von Angst in uns allen. Angst vor irgendwelchen Betrunkenen, Wütigen. Gegen die beschirmt uns der Major. Heute lahmte er. Sein Knie ist noch immer geschwollen. Die Witwe, die für sowas sanfte Hände hat, machte ihm eine Kompresse, bevor er sich zu mir legte. Er hat mir verraten, mit welch drolligem Kosenamen ihn die Mutter rief, und hat sich meinen Vornamen, zärtlich verkleinert, ins Russische übersetzt. Also sind wir wohl Freunde. Trotzdem ermahne ich mich immer wieder, auf der Hut zu bleiben, möglichst wenig zu reden.
    Am Morgen waren wir wieder allein, saßen an Herrn Paulis Bett, frühstückten gediegen und horchten nach draußen hin. Schließlich wagte sich die Witwe in das Treppenhaus, rannte aufwärts zur Buchhändlerswohnung, wo immer noch ein Dutzend Nachbarn beisammen haust. Sie kam zurück, bat mich: »Komm, gib mir den Rest Vaseline.« Sie schluckt bereits, hat die Augen voll Tränen.
    Gestern Nacht im Dunklen, so hat sie gehört, ist der Likörfabrikant zu seiner Frau zurückgekehrt, mitten durch die Front und die Truppen hindurch, ist zurückgekrochen, geschlichen, zusammen mit der rothaarigen Elvira, die mit ihm die Stellung in der Likörfabrik gehalten hat – wozu, weiß ich nicht. Ob sie gemeinsam die Likörflaschen verteidigen wollten? Es muß wohl ein Urtrieb im Menschen sein, daß er sich bei Bedrohung an

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