Eine Frau mit Geheimnis
ihre Sporen aus der zerrissenen Bettdecke, stand auf und trat vor den Spiegel über dem Toilettentisch. Was sie sah, war immer noch ein junger Kavallerist in Stiefeln, Breeches und Hemdsärmeln, mit kurz geschnittenem Haar und bartlosem Kinn. Geflissentlich ignorierte sie die geröteten Wangen.
Dann berührte sie zögernd ihre Brust. Langsam glitt ihre Hand über den kleinen Busen, der sich sonderbar empfindsam anfühlte. Und größer als normal. Als wäre er angeschwollen. Durch den dünnen Stoff des Hemdes spürte sie, wie sich die Knospen aufrichteten – fast schmerzhaft. Jetzt konnte sie die rosigen Wangen ihres Spiegelbildes nicht mehr verleugnen. Ebenso wenig den verräterischen Glanz in den Augen.
Nein, jetzt sah sie keinen Mann, sondern eine Frau. Trotz der Soldatenkleidung.
Eine Frau, von Leidenschaft beseelt – eine Frau, die sich nach der Liebkosung eines Mannes sehnte …
Welch eine Wohltat, daheim in der Bibliothek zu sitzen und in aller Ruhe ein Glas Brandy zu genießen … Dominic seufzte zufrieden und streckte die Beine vor dem schwachen Kaminfeuer aus. Was für ein langer, anstrengender Tag war das gewesen – und die abschließende Konfrontation mit Castlereagh ziemlich unerfreulich … Wie hätte er in knapp vierundzwanzig Stunden die Absichten des Zaren eruieren sollen?
„Findest du Alexandrow nicht auch etwas seltsam?“
Jacks Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Diesen Eindruck hatte er ebenfalls gewonnen. Aber aus unerfindlichen Gründen wollte er nicht mit seinen Brüdern darüber reden.
„Seltsam?“, wiederholte Leo. „Auf welche Weise?“
„Da bin ich mir nicht sicher“, antwortete Jack. „Er kam mir nur … sonderbar vor.“
„Gewiss, ein kampferprobter Soldat ohne Bartwuchs entspricht nicht der Norm.“ Leo beugte sich vor und füllte sein Glas nach. „Außerdem ist er ein Russe, also anders als wir. Kein Wunder, dass du ihn ungewöhnlich findest.“
Diese Diskussion missfiel Dominic, und er mischte sich ein, um das Thema abzuschließen. „Wahrscheinlich müssen wir alle noch sehr viel über die Russen lernen. Morgen wartet ein weiterer langer Tag auf mich. Und der wird viel zu früh anfangen.“
6. KAPITEL
Verwirrt schreckte Dominic aus dem Schlaf hoch.
„Fünfundzwanzig Minuten nach sechs, Euer Gnaden.“ Cooper stellte die übliche Tasse schwarzen Kaffee auf den Nachttisch. „Um sieben reitet der Zar aus.“
Dominic stöhnte. Warum brummte ihm der Schädel? So viel hatte er am letzten Abend doch gar nicht getrunken …
Aber jetzt fehlte ihm die Zeit, um über solche Dinge nachzudenken. Für seine Morgentoilette blieb ihm nur mehr eine Viertelstunde. Und er wollte untadelig aussehen. Sonst würde er sich Alexandrows Spötteleien ausliefern.
Erst als er später durch das Tor des Hyde Parks ritt, erschien eine Vision in seiner Fantasie. Natürlich, der Kammerdiener hatte ihn aus einem sonderbaren Traum gerissen. Kein Wunder, dass er sich so benommen gefühlt hatte …
Wo war er in seinem Traum gewesen? Das wusste er nicht. Er erinnerte sich nur verschwommen an die Ereignisse. Jedenfalls hatte er an einem Tisch gesessen, einer schattenhaften Gestalt gegenüber. Er erblickte nur eine schmale Hand, die mit einem Weinglas spielte. Dann tauchte eine zweite Hand aus dem Dunkel auf, die einen Dolch umklammerte. Sehr seltsam … Den Eigentümer dieser Hand sah er auch nicht. Plötzlich hatte der Dolch das Weinglas zerschmettert. Und roter Wein war über die Finger geflossen, die es festgehalten hatten.
Dominic schüttelte den Kopf, um die beklemmenden Bilder zu verscheuchen. Ein Traum von körperlosen Händen – einfach lächerlich! Mit dieser letzten Flasche Brandy musste irgendwas nicht gestimmt haben.
Wie wunderbar, wieder im Sattel zu sitzen … Alex ließ ihr Pferd über das taufeuchte Gras tänzeln. Während sie der kleinen Gruppe folgte, schaute sie sich suchend um. Der Duke hatte angekündigt, heute Morgen mit dem Zaren auszureiten. Pflichtbewusst hatte sie den Diener um Viertel nach sechs in Calders Haus zurückgeschickt, mit der Information, Seine Kaiserliche Majestät würde spätestens um sieben im Park eintreffen.
Und jetzt, mehrere Minuten nach sieben, erschienen weder der Duke noch irgendein anderer Engländer. Alex lächelte triumphierend. So viel war also von Calders arroganter Behauptung zu halten, er könne in einer knappen halben Stunde aus dem Bett auf den Pferderücken gelangen.
Jetzt, da er abwesend war, hatte sie sich besser unter
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