Eine Frau mit Geheimnis
Kontrolle. In Zukunft würde sie jeden körperlichen Kontakt mit Calder vermeiden. Sogar eine ganz leichte Berührung erhitzte ihr Blut und ließ ihr Herz schneller pochen. Das beunruhigte sie. So etwas hatte sie nie zuvor verspürt. War es Lust? Oder ein tieferes Gefühl? Das wusste sie nicht. Aber je öfter es geschah, desto größer wurde die Gefahr, dass sie die Beherrschung verlor – desto schwerer würde es ihr fallen, die Wirkung zu verbergen, die der Duke auf sie ausübte. Schließlich musste er es merken. Und das würde eine Krise heraufbeschwören. Womöglich glaubte er sogar, der junge russische Offizier würde wie ein Schuljunge für ihn schwärmen. Dann würde er ihr aus dem Weg gehen, andere Leute würden Spekulationen anstellen. Und letzten Endes würde sie ihr weibliches Geschlecht eingestehen müssen, um einer noch schlimmeren Anklage zu entrinnen!
Entschlossen richtete sie sich im Sattel auf. Diese verrückte Sehnsucht nach Calder muss ich bekämpfen … Bei der plötzlichen Bewegung zerrte sie zu heftig an den Zügeln, und das fremde Pferd, nicht mit ihr vertraut, strauchelte ein wenig. Hastig neigte sie sich vor, tätschelte beschwichtigend seinen Hals und murmelte sanfte Worte auf Englisch. Das durfte sie sich in Gegenwart des Zarengefolges erlauben. Was sie sagte, würde niemand verstehen. Wahrscheinlich hielt man es für sinnloses Kauderwelsch.
„Kommen Sie, meine Herren!“, rief der Zar und hob seine Reitpeitsche. „Hier ist niemand außer uns. Und nachdem wir tagelang in Kutschen und auf Schiffen festsaßen, müssen wir uns austoben. Wie wär’s mit einem Wettrennen – einer Kavallerieattacke auf die Eiche dort drüben?“
Jubelnd stimmten die jüngeren Offiziere zu, darunter auch Alex. Ein Galopp würde ihr eine Gelegenheit bieten, die Fähigkeiten ihres geliehenen Pferdes zu erproben. Da sie leichter war als ihre Kameraden, hatte sie reelle Gewinnchancen. Daraus wollte sie das Beste machen.
Um sieben Uhr verbannte Dominic alle Erinnerungen an den idiotischen Traum und konzentrierte sich auf seine Mission. Natürlich hatte er angenommen, der Zar und sein Gefolge würden durch das Tor beim Piccadilly in den Hyde Park reiten. Aber dort ließen sich die Russen nicht blicken.
Langsam ließ er Caesar, seinen schwarzen Hengst, im Schritt umhergehen und überlegte, was er tun sollte. Hatte sich die Reitergruppe des Zaren verspätet? Oder war sie auf einem anderen Weg in den Park gelangt?
In den Steigbügeln aufgerichtet, spähte er nach allen Seiten. Nichts. Leise fluchte er und sank in den Sattel zurück. Caesar erkannte den Ärger in der Stimme seines Herrn und legte die Ohren an. „Schon gut, alter Junge.“ Dominic streichelte den Hals des Rappen. „Ich weiß, du willst nicht mehr warten. Und ich muss die Spinnweben aus meinem Gehirn vertreiben. Also amüsieren wir uns eben allein.“
Während Caesar in gemäßigtem Tempo dahintrabte, hielt Dominic nach den Russen Ausschau. Der Park wirkte seltsam leer. Wo steckten sie denn alle? Hatte die Ankunft des Zaren die Gewohnheiten der Londoner schon jetzt verändert? Zu viele Bankette und Bälle bis zum Morgengrauen?
Ah, endlich! In weiter Ferne entdeckte er eine kleine Reitergruppe, die farbenfrohe Uniformen trug. Der hochgewachsene Zar saß auf einem großen Fuchs. Auch den jungen Alexandrow glaubte Dominic zu erkennen, an der blauen Uniform und dem Tschako mit der weißen Feder. Einer der anderen Männer musste Major Zass sein. Sehr gut …
Plötzlich galoppierten sie alle los. Dominic beobachtete sie interessiert. Offenbar veranstalteten sie ein Wettrennen. Der Zar ritt in vorderer Front, aber nicht an der Spitze. Also schien er von seinen Offizieren nicht zu erwarten, sie würden ihn gewinnen lassen. Ungewöhnlich für einen Monarchen. Tief über den Pferdehals gebeugt, holte Alexandrow einen Vorsprung von gut zehn Yards heraus. Wenn sein Pferd nicht strauchelte, würde er den Sieg erringen. Erstaunlich – immerhin maß er sich mit erfahrenen Kavalleristen und einem Monarchen.
Dominic wünschte ihm von ganzem Herzen den ersehnten Erfolg. Während er das Rennen verfolgte, hielt er den Atem an.
Mit einem Jubelschrei erreichte der junge Russe das Ziel, und Dominic freute sich mit ihm. In seiner Brust entstand ein sonderbares warmes Gefühl, das er sich nicht erklären konnte. Vielleicht, weil Alexandrow seinem Bruder Jack glich – talentiert, enthusiastisch, lebensfroh, voller Übermut … In weitem Bogen ritt er zu der Gruppe,
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