Eine Frau mit Geheimnis
feststellen, was mein Regent für den nächsten Tag plant. Zweifellos werden wir morgen ausreiten. Darauf freue ich mich schon. Und nun wünsche ich Ihnen eine gute Nacht“, fügte Dominic hinzu und wandte sich zum Gehen.
„Calder?“
„Ja?“ Dominic drehte sich um. In der riesigen Hotelhalle wirkte Alexandrow klein und zierlich – wie ein hübscher Spielzeugsoldat.
Formvollendet verneigte sich der Russe. „Vielen Dank für Ihre Gastfreundschaft heute Abend. Und für Ihre Hilfe im Getümmel auf der Straße.“
„Gern geschehen. Auch meinen Brüdern war es ein Vergnügen. Übrigens, glauben Sie nicht alles, was sie Ihnen erzählen. So schrecklich, wie sie mich hinstellen, bin ich nicht.“
Statt zu antworten, verbeugte Alexandrow sich noch einmal und ging zur Treppe.
Lächelnd verließ Dominic das Hotel und schlenderte zum Piccadilly. Ein interessanter junger Mann, dachte er. Und amüsant. Es würde sich lohnen, die Freundschaft zu vertiefen. Doch dann trübte die Erinnerung an unangenehme Pflichten die heitere Laune. Er würde den Adjutanten benutzen müssen, um näher an Zass und andere Mitglieder des engeren Kreises um den Zaren heranzukommen. Sicher wartete Castlereagh, der Außenminister, schon ungeduldig auf den ersten Bericht.
Alex eilte lässig die Stufen hinauf. Als sie den ersten Treppenabsatz erreichte, von der Halle aus nicht mehr zu sehen, blieb sie stehen. Mit zitternden Fingern umklammerte sie das Geländer.
Aus dem oberen Stockwerk drang fröhliches Gelächter herab. Offenbar hatten ihre Kameraden den freien Abend genossen. Jeden Moment könnte einer der Offiziere sie beobachten. Den Rücken gestrafft, setzte sie ihren Weg fort. Niemand durfte eine Veränderung in Hauptmann Alexandrows Haltung bemerken.
Fast das gesamte Zarengefolge hielt sich im Empfangsraum des ersten Stocks auf. Anscheinend hatten einige Offiziere die Gastfreundschaft Seiner Majestät gründlich ausgenutzt und zu tief ins Glas geschaut. Einige lagen auf den Sofas und schnarchten lautstark.
„Wo warst du denn, Alexej Iwanowitsch?“, rief einer der Männer, ging Alex entgegen und wollte einen Arm um ihre Schultern legen.
Geschmeidig trat sie beiseite. „Wo ist Major Zass? Er erwartet meinen Bericht.“
„Welchen Bericht?“
O Gott, ihre unbedachten Worte hatten den Alkoholnebel im Gehirn des Mannes durchdrungen. Welcher Bericht, also wirklich! Diesen Auftrag hatte der Major ihr unter vier Augen erteilt. Nun erwähnte sie in ihrer törichten Verwirrung die Mission inmitten der betrunkenen Kameraden.
Konzentrier dich, Alex! Was ist nur mit dir geschehen? Normaler weise bist du nicht so unaufmerksam. Und du bist daran gewöhnt, mit solchen Männern umzugehen.
Aber nicht mit Männern wie den Duke of Calder , erwiderte eine innere Stimme. Er hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Und wann immer er sie berührte …
„Alexandrow, endlich!“ Major Zass tauchte aus dem Nebenraum auf, in dem er am früheren Abend mit Alex gesprochen hatte. Im Gegensatz zu seinen Offizieren war er vollkommen nüchtern.
Ungeduldig scheuchte er sie ins angrenzende Zimmer und schloss die Tür.
„Sie sind ziemlich spät dran, Alexej Iwanowitsch. Hoffentlich ist das ein gutes Zeichen. Was haben Sie herausgefunden?“
In knappen Worten schilderte sie die Ereignisse im Carlton House und später im Domizil des Duke.
„Also hatten Sie reichlich Gelegenheit, Calder auszuhorchen“, meinte der Hauptadjutant.
„Nun, er ist sehr vorsichtig, Major. In zehn Minuten erfuhr ich mehr über seine Brüder als in der ganzen Zeit über ihn selber.“
Verblüfft runzelte Zass die Stirn.
„Das allein ist schon interessant“, fuhr Alex fort. „Allen persönlichen Fragen weicht der Duke aus. Sicher hat er etwas zu verbergen.“ Diesen Eindruck hatte sie im Lauf des Abends mehrmals gewonnen. „Er deutete an, er würde ins Carlton House zurückkehren, um weitere Instruktionen zu erhalten. Aber das bezweifle ich.“
„Vielleicht hätten Sie ihm folgen sollen.“
Daran hatte sie nicht gedacht – zu eifrig bestrebt, ihm zu entfliehen, ihre wirren Gedanken zu ordnen und verräterische körperliche Gefühle zu bezwingen. „Für einen uniformierten Husaren wäre es schwierig, hinter dem Duke herzuschleichen“, entgegnete sie und wich dem Blick des Majors aus. „Heute bemerkte er, wegen der weißen Feder auf meinem Tschako würde er mich überall entdecken.“
„Gewiss, Sie haben recht. Also müssen wir andere Mittel und Wege finden, um die
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